Rund 72.000 Menschen kamen aufgrund des DDR-Grenzregimes in Haft. Einer von ihnen war Heinz Kuttnik, der versucht hatte, einer Frau mit zwei Kindern aus Ostdeutschland zur Flucht zu verhelfen. Nach dem Sturz der SED-Diktatur setzte er sich für eine stärkere Würdigung der Maueropfer ein. Eine Erinnerung an einen Mann, der nie im Rampenlicht stand.
Von Hubertus Knabe
Heinz Kuttnik war ein unbequemer Gefängnisinsasse. Selbst auf den Fotos, die der DDR-Staatssicherheitsdienst von ihm in der Haft machte, sieht man ihm den Widerstandsgeist an. Tatsächlich ließ sich der damals Mitte Dreißigjährige auch von der Stasi nicht klein kriegen.
Mit verschmitztem Lächeln erzählte er mir einmal, wie er in seiner Zelle in Berlin-Pankow eine Ratte gefangen und ihr aus einem Stück Stoff eine Art Nachthemd angezogen hatte. Als die Wärter die Tür geöffnet hätten, habe er das Tier freigelassen, so dass diese sich verdattert gefragt hätten, was da an ihnen vorbeigeschlüpft sei. Anschließend habe er hören können, wie die Wärter lange Zeit vergeblich versucht hätten, die Ratte im Zellenflur zu erwischen – die Genugtuung darüber war ihm bis heute anzusehen.
Ein anderes Mal berichtete mir Heinz Kuttnik, wie er die Wachhunde unter seinem Zellenfenster gefüttert hätte, bis diese ganz friedlich und zutraulich geworden seien. Damit ich erst gar nicht auf die Idee käme, er könne vielleicht übertreiben, zog er aus seiner Umhängetasche ein sorgsam verpacktes Stasi-Dokument hervor, in dem der Vorfall exakt so beschrieben wurde.
Über Jahre hinweg habe ich Heinz Kuttnik bei Veranstaltungen der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen getroffen. Stets erschien der klein gewachsene Mann, der am 31. Oktober 1932 in Berlin-Lichtenberg geboren worden war, in schwarzer Lederkluft und mit einem Helm unter dem Arm, denn bis ins hohe Alter fuhr er Motorrad. In der anderen Hand hielt er eine Kamera und erklärte mir zur Begrüßung, dass er die Veranstaltung filmen werde – wie Dutzende andere davor und danach. Ein paar Tage später übergab er die fertige DVD. Ihm ist es zu verdanken, dass nahezu alle Veranstaltungen, die in der Gedenkstätte stattfanden, für die Nachwelt überliefert sind.
Dabei stand Heinz Kuttnik nie im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Das Internet verzeichnet zu seinem Namen nur einen einzigen Zeitungsartikel – der allerdings eine ebenso typische wie anrührende Begebenheit schildert: Als in Berlin die erste rot-rote Koalition an die Macht gekommen war und am Jahrestag des Mauerbaus der Opfer des DDR-Grenzregimes gedachte, ging Heinz Kuttnik bei der feierlichen Kranzniederlegung unvermittelt nach vorne und entfernte vom Kranz der in PDS umbenannten SED die Schleife.
Am 23. Mai starb Heinz Kuttnik im Alter von 88 Jahren. Die Beisetzung fand am 27. Juli in Berlin-Pankow statt, von der Gedenkstätte Hohenschönhausen war niemand erschienen. Anstelle eines Nachrufes wird an dieser Stelle die unredigierte Trauerrede seines Sohnes Bernd dokumentiert, die dieser freundlicherweise zur Verfügung stellte.
Der Text erschien zuerst in: Tichys Einblick vom 20. August 2021.
Fotos: Privat