Das Versagen der CDU

SED-Opfer protestieren gegen die Politik von Angela Merkel
Protest gegen die Aufarbeitungspolitik der CDU - Demonstration von Opfern des Kommunismus im April 2016 in Berlin

Viele Opfer der SED-Diktatur leiden bis heute unter den Folgen ihrer Verfolgung in der DDR. Die neue Opferbeauftragte hat der scheidenden Regierung jetzt die Leviten gelesen. Hauptverantwortlich für die Missstände ist die CDU-Ministerin Monika Grütters. Die Ampel-Regierung will nun einiges besser machen.

Von Hubertus Knabe

Viel war von der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur bisher nicht zu hören. Und manchem Politiker dürfte dies auch ganz recht gewesen sein. Schließlich hatte der Bundestag im Juni mit Evelyn Zupke eine kaum bekannte ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin in das neue Amt gewählt – als Trostpflaster für die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Ob das Kalkül der Abgeordneten aufgeht, ist nicht sicher. Nach nicht einmal fünfmonatiger Amtszeit hat die neue Opferbeauftragte dem Bundestag kürzlich einen Bericht übergeben, der es in sich hat. Mitten in den Koalitionsverhandlungen listete das sechsseitige Dokument zahlreiche Missstände im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur auf.

Der unaufgefordert abgegebene Bericht zeigt vor allem das Versagen der CDU. Denn in deren Zuständigkeitsbereich lag das Thema, seitdem Angela Merkel vor 16 Jahren Bundeskanzlerin wurde. Nicht einmal das, was die Koalitionsparteien selbst beschlossen hatten, wurde von der verantwortlichen Staatsministerin Monika Grütters umgesetzt.

Missstände im Umgang mit den SED-Opfern – Stele über Evelyn Zupke am früheren Gefängnis Berlin-Rummelsburg

Parlamentsbeschlüsse ignoriert

Mehrfach hatte der Bundestag zum Beispiel entschieden, ein zentrales Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu errichten. Bereits 2015 forderten Union und SPD die Bundesregierung auf, eine parlamentarische Initiative für das Denkmal „an einem zentralen Ort in Berlin vorzubereiten und zu begleiten.“ Nachdem vier Jahre nichts geschehen war, verlangten sie 2019, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben und dem Bundestag regelmäßig einen Sachstandsbericht vorzulegen.

Die Studie gibt es bis heute nicht, geschweige denn das Denkmal. Nicht einmal einen Standort hat die scheidende Beauftragte für Kultur und Medien vorgeschlagen. „Die Suche“, so teilte Grütters Sprecher auf Anfrage mit, „dauert noch an“. In ihrem Bericht mahnt die Opferbeauftragte jetzt, „zeitnah die Prüfung möglicher Standorte abzuschließen.“ Diese Aufgabe bleibt jetzt der nächsten Bundesregierung überlassen.

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Bei anderen erinnerungspolitischen Themen agierte die CDU-Ministerin wesentlich schneller. So ließ Grütters kürzlich die sowjetischen Siegesdenkmäler in Berlin (die auch Zitate Josef Stalins zur Schau stellen) für acht Millionen Euro sanieren – zum zweiten Mal seit der Wiedervereinigung. Für die Aufarbeitung von „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ richtete sie in ihrem Haus sogar ein eigenes Referat plus Haushaltstitel ein, wie sie dem Bundestag berichtete. Dank Grütters Einsatz überprüfen Deutschlands Museen derzeit mit Millionenbeträgen aus Steuermitteln Tausende einschlägige Objekte auf ihre Herkunft.

Zum zweiten Mal saniert – Sowjetisches Heldendenkmal in Berlin mit Stalin-Zitaten (auf den Steinblöcken am Rand)

Dem Bericht der Opferbeauftragten ist zu entnehmen, dass das Denkmal nicht der einzige unerledigte Auftrag des Parlaments ist. So wurde die Regierung bereits vor zweieinhalb Jahren beauftragt zu prüfen, ob Gesundheitsschäden von SED-Verfolgten nicht nach einem ähnlichen Verfahren anerkannt werden können wie die von NS-Opfern. Da viele ehemalige DDR-Häftlinge bis heute unter den Folgen ihrer Haft leiden, haben sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente – theoretisch.

Während bei NS-Opfern die Tatsache ausreicht, dass sie in Haft waren, müssen SED-Opfer nämlich den kausalen Zusammenhang zwischen Krankheit und Gefängnis beweisen – womit sie in 90 Prozent der Fälle scheitern. Auch zu diesem Thema stellt die Opferbeauftragte fest, dass die scheidende Bundesregierung „kein Prüfergebnis vorgelegt“ habe. Genauso wenig wurde das 2019 beschlossene Kompetenzzentrum zur Begutachtung und Behandlung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern geschaffen.

Ein weiterer Auftrag lautete, die Einrich­tung eines Härtefallfonds für SED-Opfer zu prüfen. Einen solchen gibt es zwar in einigen ostdeutschen Ländern, so in Berlin, Brandenburg, Sachsen und bald auch in Thüringen. Doch wer in einem westdeutschen Bundesland lebt, bekommt keinerlei Unterstützung, wenn er sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet. Die Opferbeauftragte kommt auch hier zu der Feststellung: „Eine Berichterstattung durch die Bundesregierung zur Prüfbitte des Deutschen Bundestages ist in der zurückliegenden Wahlperiode nicht erfolgt.“ Gleiches gilt für den Beschluss, die Schaffung eines Forschungszentrums über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu prüfen.

„Berichterstattung nicht erfolgt“ – Protest von SED-Opfern vor dem Bundesfinanzministerium in Berlin 2016

Verschleppte Probleme

Außer den unerledigten Aufträgen spricht der Bericht der Opferbeauftragten aber noch weitere Probleme an, die von der alten Bundesregierung nicht geregelt wurden. So wird Personen, die in einem der gefängnisähnlichen DDR-Jugendwerkhöfe untergebracht waren, häufig die Rehabilitierung verweigert. Dasselbe gilt für Opfer des DDR-Staatsdopings. Wurde der Antrag einmal abgelehnt, wird die Wiederaufnahme des Verfahrens oftmals abgelehnt – selbst wenn sich die Rechtslage für die Betroffenen inzwischen verbessert hat.

Die Opferbeauftragte kritisiert darüber hinaus, dass die ohnehin geringfügigen Hilfen für mittellose SED-Verfolgte ab dem Renteneintritt von 240 Euro auf 180 Euro sinken. Bei der Überprüfung der Bedürftigkeit wird zudem das Einkommen des Lebenspartners mitgerechnet. Angesichts der zunehmenden Inflation sorgen sich viele ehemalige politische Häftlinge auch um ihre Opferrente von derzeit 330 Euro. Anders als bei einer normalen Rente ist diese nämlich gesetzlich eingefroren.

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Ob die geplante Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Missstände engagierter beseitigen wird als die bisherige Bundesregierung, bleibt abzuwarten. Im neuen Koalitionsvertrag kommen die Buchstaben „DDR“ und das Wort „Kommunismus“ jedenfalls nicht vor. Die Vereinbarungen zum Thema Erinnerungspolitik wirken eher bescheiden (siehe Kasten am Ende).

Statt eines Mahnmals für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft haben die Ampel-Parteien nun drei andere Erinnerungsorte vereinbart: ein Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“, ein Erinnerungs- und Begegnungsort für „die Opfer der Besatzung Polens“ sowie ein Konzept für einen „Lern- und Erinnerungsort Kolonialismus“, den die Grünen schon 2019 forderten. Die teure Überprüfung des „kolonial belasteten Sammlungsgutes“ soll ebenfalls weitergeführt werden. Dass es in Berlin bereits seit 50 Jahren ein mit der damaligen polnischen Regierung abgestimmtes Denkmal gibt, war den Koalitionären offenbar nicht bekannt.

„Begegnungsort für die Opfer der Besatzung Polens“ – Deutsch-polnisches Denkmal in Berlin-Friedrichshain (1)

Inzwischen steht fest, das Claudia Roth Grütters Nachfolgerin werden soll. Die frühere Parteichefin der Grünen ist bisher nicht durch besonderes Engagement für die Opfer der SED-Diktatur hervorgetreten. Im Gegenteil: Als es 1990 um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ging, marschierte sie hinter einem Transparent „Nie wieder Deutschland“. Noch Jahre später kritisierte sie, dass der DDR damals das System der Bundesrepublik aufgezwungen worden und die Wiedervereinigung „eher ein Anschluss“ gewesen sei.

Immerhin hat der Bericht der Opferbeauftragten erste Wirkung gezeigt: Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass die Beantragung und Bewilligung von Hilfen für Opfer der SED-Diktatur erleichtert werden soll, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden. Auch die Opferrente soll dynamisiert und ein bundesweiter Härtefallfonds eingeführt werden.

Manchen ehemaligen Stasi-Häftling dürfte das an das Jahr 1998 erinnern, als die SPD schon einmal einen Bundeskanzler der CDU aus dem Amt vertrieb. Rot-Grün vereinbarte damals im Koalitionsvertrag, die Entschädigung des DDR-Unrechts zu verbessern. Ein Jahr später wurde die Haftentschädigung für kommunistisch Verfolgte verdoppelt. Bis dahin hatte sie nur die Hälfte des Satzes betragen, den in der Bundesrepublik zu Unrecht inhaftierte Häftlinge bekamen.

Aussagen im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
„Wir unterstützen die Ausweisung des europäischen Grünen Bandes und berücksichtigen dabei auch die Erinnerungskultur und begangenes SED-Unrecht. (…)
Im Einvernehmen mit den Ländern erleichtern wir die Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für Opfer der SED-Diktatur, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden, passen die Definition der Opfergruppen an die Forschung an und dynamisieren die SED-Opferrente. Wir richten ergänzend einen bundesweiten Härtefallfonds für die Opfer ein und entwickeln hierfür die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge weiter. (…)
Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes werden wir unter Einbezug des Deutschen Bundestages, der SED-Opferbeauftragten und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas sowie im Zusammenwirken mit den in diesen Bereichen Aktiven aktualisieren und die Gedenkstättenarbeit auskömmlich finanzieren. (…) Das Förderprogramm „Jugend erinnert“ wird verstetigt und modernisiert. Wir fördern Forschung in Gedenkstätten. (…)
Wir werden die Bundesstiftung Aufarbeitung stärken. Wir werden die festgeschriebenen Standorte der Außenstellen des Stasi-Unterlagen-Archivs qualitativ entwickeln. Die begleitende Forschungs- und Bildungsarbeit wird unterstützt. Wir unterstützen die Einrichtung des Archivzentrums SED-Diktatur und die Weiterentwicklung der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin zum Campus für Demokratie.
Wir wollen der Geschichte der Demokratie in Deutschland und ihren Orten mehr Sichtbarkeit
verleihen. Die Förderung auch der Orte der Friedlichen Revolution ist uns ein besonderes Anliegen.“

Lesetipp: Ulrike Guckes, Opferentschädigung nach zweierlei Maß? Eine vergleichende Untersuchung der gesetzlichen Grundlagen der Entschädigung für das Unrecht der NS-Diktatur und der SED-Diktatur.

(1) ProhibitOnions / CC BY-SA 3.0

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