Der Fall Barbara Borchardt

Linksextreme Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern - die ehemalige Linken-Abgeordnete Barbara Borchardt (1)

In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine bekennende Linksextremistin zur Verfassungsrichterin gewählt. Auch die CDU hat im Landtag für sie gestimmt. Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. Wer ist die Frau, die in Zukunft im Norden Deutschlands über die Verfassung wachen soll? Eine Spurensuche.

Von Hubertus Knabe

Es ist noch nicht lange her, da war der Name Barbara Borchardt den meisten Menschen in Deutschland völlig unbekannt. Das hat sich schlagartig geändert, seitdem die ehemalige Linken-Abgeordnete am 15. Mai vom Landtag in Mecklenburg-Vorpommern von allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD zur Richterin am Landesverfassungsgericht gewählt wurde. Von diesem Tag an fanden sich ihr Name und oft auch ein wenig vorteilhaftes Bild der 64-Jährigen fast täglich in den deutschen Medien. Denn Borchardt gehört zu den Mitbegründern einer Organisation, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Eine Verfassungsfeindin als Verfassungsrichterin?

Wenn die CDU und die SPD gewusst hätten, welche Wellen die Wahl in Deutschland schlüge, hätten sie vielleicht anders entschieden. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass sich im Schweriner Landtag offenbar niemand die Kandidatin für das Richteramt vor der Wahl genauer angeschaut hat. Tatsächlich sollen Borchardt bei der Vorstellung in den Fraktionen keine Fragen zu ihren politischen Überzeugungen gestellt worden sein. Wer also ist die Frau, die in Zukunft als neue Richterin am siebenköpfigen Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern darüber urteilen soll, was im Norden Deutschlands als verfassungsgemäß gilt?

Bestandteil eines „Gesamtpakets“ – der Fraktionschef der CDU in Mecklenburg-Vorpommern Torsten Renz (2)

Diese Frage zu beantworten, ist gar nicht so einfach, ist doch ihre eigene Website (www.barbara-borchardt.de) seit einiger Zeit unzugänglich. «Sorry, wir arbeiten gerade an der Seite», bekommt man im Internet dort seit Tagen angezeigt, «in Kürze» sei man aber wieder zurück. Eine eingehendere Recherche bringt viel Klein-Klein aus dem Alltag einer umtriebigen Linken-Politikerin in der ostdeutschen Provinz zum Vorschein, aber auch manches, was an ihrer Eignung als Verfassungsrichterin erhebliche Zweifel weckt. Am Ende stellt sich der Eindruck ein, dass sich Barbara Borchardt eigentlich nicht verändert hat, seit sie vor 44 Jahren der SED beitrat.

Zweifel an der Eignung – Sitz des Landesverfassungsgerichts von Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald (3)

Borchardt ist ein Kind der DDR, und das nicht nur im geografischen Sinne. Ihr Ziehvater war Kreisgerichtsdirektor in Templin, eine sogenannte Nomenklaturkaderposition, die man nur mit Zustimmung der SED-Kreisleitung bekleiden durfte. In der Kleinstadt im Norden Brandenburgs, die damals rund 11 000 Einwohner hatte, machte sie 1974 ihr Abitur – ein Jahr nach Angela Merkel übrigens, der sie regelmässig auf dem Schulhof begegnet sein dürfte. Anschliessend wollte sie Jura studieren, um später am liebsten den Posten ihres Ziehvaters zu übernehmen. Doch die 18-Jährige wurde Mutter und begann stattdessen, beim Rat des Kreises als «Instrukteurin» zu arbeiten – was so viel bedeutete, dass sie die Umsetzung der Beschlüsse von Staat und Partei zu überwachen hatte.

Seit 44 Jahren Parteimitglied

Mit 20 Jahren trat Barbara Borchardt dann der SED bei, der sie seitdem – trotz viermaliger Änderung des Parteinamens  – ununterbrochen angehört. Sie wurde 1976 Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Retzow-Rutenberg und begann an der Kaderschmiede der DDR, der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft, ein Fernstudium. Nach dem Scheitern ihrer Ehe zog Borchardt in die Gemeinde Gross Daberkow im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, wo die SED sie erneut zur Bürgermeisterin machte. Sie blieb in diesem Amt bis zum Untergang der DDR; gerade noch rechtzeitig schloss sie ein weiteres Fernstudium als Diplomjuristin ab. Wäre die friedliche Revolution nicht dazwischengekommen, hätten der damals 34-Jährigen im SED-Staat nun alle Tore offen gestanden.

Montagsdemonstration in Leipzig: Nach Friedensgebeten in mehreren Kirchen versammelten sich am 29. Januar 1990 erneut rund 100.000 Menschen auf dem Karl-Marx-Platz (heute: Augustusplatz).
Friedliche Revolution dazwischen gekommen – Montagsdemonstration am 29. Januar 1990 in Leipzig (4)

Doch die Wiedervereinigung bereitete ihrer Karriere ein jähes Ende. Barbara Borchardt wurde arbeitslos. Über ihre Mitwirkung in der sozialistischen Diktatur findet sich in ihren Lebensläufen kein kritisches Wort. «Ich stehe zu meiner Vergangenheit, meiner Verantwortung als Mitglied der SED und ehemalige Bürgermeisterin», zog sie sich einmal in einer Vorstellungsrede auf die beliebte Floskel früherer SED-Funktionäre zurück, die eben nichts darüber aussagt, wie man heute zu dieser Vergangenheit steht.

Zumindest zum Bau der Berliner Mauer hat sich Borchardt 2011 klar geäußert. Zum 50. Jahrestag des Ereignisses unterschrieb sie eine Erklärung, in dem sie die Teilung Berlins als für die damalige DDR-Führung „alternativlos“ verteidigte. „Die Errichtung der Mauer,“ so konnte man dort lesen, „leitete eine Periode friedlicher Koexistenz in Europa ein, die unter anderem durch die weltweite Anerkennung der DDR gekennzeichnet war.“ Die Tatsache, dass die SED-Führung dort auf unbewaffnete Flüchtlinge schießen ließ, wurde in den beschönigenden Satz gekleidet: „Menschen verloren an der Grenze ihr Leben.“ Selbst gegenüber dem harten Kern des Unterdrückungsapparates zeigte Borchardt keine Berührungsängste. Unter ihren im Netz konservierten Terminankündigungen findet man auch eine Veranstaltung mit der „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“ – dem Lobbyverband von Stasi, Polizei und Nationaler Volksarmee.

„Ich stehe zu meiner Vergangenheit“ – Selbstverfasster Lebenslauf von Barbara Borchardt aus dem Jahr 2003

Auch nach dem Untergang der DDR hielt Borchardt der Partei, die sich seit Februar 1990 PDS nannte, die Treue. Borchardt wurde Kreisvorsitzende, Fraktionsvorsitzende eines Kreistags und schließlich stellvertretende Landesvorsitzende. 1998 zog sie in den Schweriner Landtag ein, dem sie bis 2016 fast ununterbrochen angehörte. Während sich andere Anhänger des SED-Regimes geläutert vom Sozialismus abwandten, machte sie einfach weiter.  

Die Wiedervereinigung Deutschlands erlaubte es Borchardt allerdings, ihre alten Überzeugungen mit einer oppositionellen Attitüde zu verknüpfen, die sie früher nicht besaß. „Ich habe mir 1990 geschworen, nie wieder zu schweigen, wenn ich meine, meine Stimme erheben zu müssen,“ sagte sie in ihrer Vorstellungsrede aus dem Jahr 2000. Sie sei es sich und ihren Kindern „schuldig, zu denken, nachzudenken, für dich selbst.“ Dieser Widerstandsgeist, wenn er nichts mehr kostet, ist unter ehemaligen Anhängern des SED-Regimes weit verbreitet. Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus konnte man diesen psychologischen Mechanismus nachträglichen Opponierens beobachten.

Widerstand, wenn er nichts mehr kostet – Linken-Demonstration in Greifswald im Dezember 2010 (5)

Beruflich kam Borchardt 1991 beim Arbeitslosenverband Deutschland unter, den ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter 1990 gegründet hatte. Die durch die Friedliche Revolution entmachteten SED-Funktionäre, die zu jung waren, um in Rente zu gehen, hatten früh erkannt, dass sich bei diesem Thema für sie ein neues Wirkungsfeld auftat – und vor allem jede Menge staatlicher Zuschüsse zu verteilen waren. Die abgelöste Bürgermeisterin aus Groß Daberkow bekam bei dem Verein eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Schon bald wurde sie stellvertretende Geschäftsführerin und später sogar stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes.

Vom Verfassungsschutz beobachtet

Für Kritik an Borchardts Wahl ins Verfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern sorgte allerdings weniger ihre lupenreine Parteikarriere, die sie trotz des Untergangs der DDR bruchlos fortsetzte. Irritationen lösten vor allem ihre Aktivitäten in der Gruppierung „Antikapitalistische Linke“ aus, die seit Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Im jüngsten Bericht der Behörde wird der rund 1000 Mitglieder umfassenden Bundesarbeitsgemeinschaft der Linken bescheinigt, einen „grundsätzlichen Systemwechsel“ und die Überwindung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung durch einen „Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen“ anzustreben.

„Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen“ – Website der Arbeitsgemeinschaft „Antikapitalistische Linke“

Tatsächlich fordert die Gruppierung, der auch bekennende Trotzkisten angehören, nicht nur die Enteignung aller Banken, Versicherungen und „strukturbestimmenden Konzerne der Weltwirtschaft“ – wie es im Gründungsaufruf von 2013 heißt. Sie will in Deutschland auch den Sozialismus einführen, was „nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen und gewerkschaftliche Kämpfe“ möglich sei. Erst im März machte einer ihrer Sprecher Schlagzeilen, als er bei einer „Strategiekonferenz“ der Linken erklärte, Aufgabe der Partei sei es: „Staatsknete im Parlament abgreifen. Informationen aus dem Staatsapparat abgreifen. Der Bewegung zuspielen.“

Borchardt initiierte in Mecklenburg-Vorpommern 2006 die Bildung einer Landesarbeitsgemeinschaft der Gruppierung. In deren Gründungsaufruf heißt es, dass man die Zukunft der Partei vor allem darin sehe, „gesellschaftliche Gegenmacht zu stärken und Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse zu mobilisieren.“ Auf der Website der Organisation war zu lesen, dass Borchardt sie im Landtag vertrete. Zudem war sie Mitglied des Sprecherrates. In einem Interview erklärte sie 2010, dass ihre Organisation „natürlich“ auch mit der Kommunistischen Plattform zusammenarbeite, einer weiteren vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung in der Linkspartei.

„Gegen die herrschenden Verhältnisse“ – Website der „Antikapitalistischen Linken“ in Mecklenburg-Vorpommern

Wer gemeint hätte, Barbara Borchardt hätte sich mittlerweile von den Zielen der Organisation abgekehrt, musste sich in den vergangenen Tagen eines Besseren belehren lassen. Mehreren Medien erklärte sie, dass sie der „Antikapitalistischen Linken“ weiterhin angehöre. Sie werde ihre Mitgliedschaft auch nicht ruhen lassen, da diese keinen Widerspruch zu ihrer Tätigkeit als Verfassungsrichterin bildeten. Die Ziele der Organisation stünden nicht im Gegensatz zum Grundgesetz. In einem am 28. Mai erschienenen Interview bekräftigte Borchardt nicht nur ihren Standpunkt zum Mauerbau, sondern übertraf ihn noch mit der Feststellung: „Es gab Mauertote auf beiden Seiten, es sind auch Grenzsoldaten erschossen worden.“ Linksparteichef Bernd Riexinger, der Borchardt zu ihrer Wahl gratulierte, hatte sich ausdrücklich hinter sie gestellt und getwittert: „Ein Verfassungsgericht schützt die Verfassung und nicht die Wirtschaftsordnung – die ist im Grundgesetz nämlich nicht festgelegt“.

„Im Grundgesetz nicht festgelegt“ – Parteichef Bernd Riexinger beim Geburtstagsempfang für Gregor Gysi 2013 (6)

Diese von Linken gerne aufgestellte Behauptung ist insofern erstaunlich, als nach Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes das Eigentum in Deutschland «gewährleistet» wird – was eine Abschaffung des Kapitalismus ausschließt. Einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht zudem eine eingehende Prüfung voraus. Nur bei «Bestrebungen, die gegen die freiheitliche, demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind», darf es laut Gesetz aktiv werden. Auch nach Artikel 18 Absatz 2 der Mecklenburgischen Landesverfassung sind «Handlungen, die (. . .) darauf gerichtet sind, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten», verfassungswidrig.

Jetzt also ist eine ehemalige SED-Funktionärin und bekennende Linksextremistin Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern. Das Gericht ist – neben dem Landtag und der Landesregierung – eines der drei Verfassungsorgane des Landes. Es entscheidet zum Beispiel über die Zulässigkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden. In der Vergangenheit hat die Linken-Politikerin mehrfach erklärt, Demokratie könne sich «nicht in Wahlen erschöpfen». Sie forderte nicht nur die Vereinfachung von plebiszitären Verfahren und die Absenkung der dafür notwendigen Quoren. Wenn es nach ihr gegangen wäre, könnte eine gut organisierte Minderheit auch den Landtag per Volksentscheid auflösen – ganz im Sinne der von ihrer Organisation geforderten Stärkung «gesellschaftlicher Gegenmacht».

„Gesellschaftlicher Gegenmacht stärken“ – Linken-Plakat zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“

Borchardts Wahl ist nicht mehr rückgängig zu machen. Sie zeigt aber schlaglichtartig, dass die Linke das Grundgesetz nur dann im Munde führt, wenn es ihr nützlich erscheint. In steter Regelmäßigkeit startet sie Provokationen, um die Maßstäbe politischer Normalität zu verschieben. Wenn sich kein Proteststurm erhebt, kommt die nächste Grenzverschiebung. Die SPD hingegen sieht in Borchardts Wahl nicht einmal ein Problem. Für die absterbende Partei zählt nur, dass sie im Gegenzug zwei eigene Kandidatinnen in das Verfassungsgericht befördern konnte. Das traurigste Bild liefert indes die CDU, die sich nach den Vorgängen in Thüringen nun auch in Mecklenburg-Vorpommern als Steigbügelhalter der Linkspartei betätigt hat. Ihre Anhänger werden sich fragen, warum sie sie noch wählen sollen, wenn sie am Ende eine linksextreme Verfassungsrichterin bekommen.

Der Text erschien zuerst in: Neue Zürcher Zeitung vom 29. Mai 2020.
Leseempfehlung: Hubertus Knabe, Die Wahrheit über die Linke

(1) Image: Bobo11, Licence: CC BY-SA 3.0 ()
(2) Image: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu), Licence: CC BY-SA 3.0-de
(3) Image: C. Löser, Licence: CC BY 3.0 DE
(4) Image: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0129-029 / Kluge, Wolfgang / CC-BY-SA 3.0
(5) Image: Fraktion Die Linke im Bundestag, Licence: CC BY 2.0
(6) Image: Fraktion Die Linke im Bundestag, Licence: CC BY 2.0


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