Der Mann, der die Stasi retten wollte

Lob für einen SED-Altfunktionär - Ex-DDR-Ministerpräsident Hans Modrow bei einer Veranstaltung im Februar 2012

Am vergangenen Wochenende ist der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow verstorben. Linken-Politiker und Medien würdigten seine Verdienste. Doch zur Verklärung des langjährigen SED-Funktionärs gibt es keinen Anlass.

Von Hubertus Knabe

vgwort

Führende Vertreter der Linkspartei haben ihre Trauer über den Tod des ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow zum Ausdruck gebracht. „Der Tod von Hans Modrow trifft mich sehr,“ schrieb der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi am Samstag letzter Woche auf Twitter. „Als vorletzter Ministerpräsident der DDR hat er Großartiges geleistet.“

Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch teilte via Twitter mit: „Hans war ein zutiefst aufrichtiger und kämpferischer Sozialist. Bis ins hohe Alter war er ein wichtiger Ratgeber in unserer Partei, dessen Klugheit fehlen wird.“ In einer gemeinsamen Erklärung hoben Gysi und Bartsch hervor: „Der gesamte friedliche Verlauf der Herstellung der Deutschen Einheit war gerade ein besonderes Verdienst von ihm. Das wird sein politisches Vermächtnis bleiben.“

Nur wenig kritischer fielen die Nachrufe in den deutschen Medien aus. Die „Tagesschau“ schilderte Modrow als überzeugten Sozialisten, „der sich zu DDR-Zeiten ein kleines Stück kritische Distanz zur allmächtigen SED bewahrt“ hätte und deshalb in die Provinz nach Dresden geschickt worden. Der „rbb“ behauptete, er habe sich bereits im Oktober 1989 um einen Dialog mit der Opposition bemüht. Die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ richtete sogar ein Kondolenzbuch ein und schrieb, dass beim Untergang der DDR kein Blut geflossen sei, verdanke sich „auch Helden des Rückzugs, wie Hans Modrow einer war.“

„Helden des Rückzugs“ – Hans Modrow (r.) und Gregor Gysi beim PDS-Parteitag im Februar 1990 (2)

Vom Volkssturm zum FDJ-Funktionär

Kennzeichnungen wie diese haben mit der Wirklichkeit wenig zu tun. In Wirklichkeit war Modrow vor allem eins: ein linientreuer, folgsamer und zunehmend verstockter SED-Funktionär.

Die politische Biografie des am 28. Januar 1928 Geborenen begann, als er mit 17 Jahren zum Volkssturm eingezogen wurde, um gegen die Rote Armee zu kämpfen – eine Tatsache, die in der DDR gern verschwiegen wurde, aber für seinen späteren Werdegang nicht unwesentlich war. Denn die Mitglieder der Hitler-Jugend, die bis zum Schluss an den Endsieg glaubten, erwiesen sich nach dem Krieg als besonders treue SED-Kader. Wie der Schriftsteller Erich Loest in seiner Autobiografie schildert, war es für sie nur ein kleiner Schritt vom überzeugten Nationalsozialisten zum ebenso überzeugten Stalinisten.

Modrow, der 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, kam erst vier Jahre später nach Deutschland zurück. In der Sowjetunion war er in einer sogenannten Antifa-Schule politisch umerzogen worden. Die ihm damals eingeimpften Überzeugungen prägten ihn bis an sein Lebensende. Er hätte dort begriffen, „dass die Deutschen den Völkern der Sowjetunion gegenüber eine Wiedergutmachung zu leisten hatten und haben“, fasste er einmal sein Credo zusammen. In der Praxis bedeutete dies vor allem eine bedingungslose Unterwerfung unter das jeweils in Moskau herrschende Regime.

In Ostdeutschland wurde Modrow rasch zum hauptamtlichen Funktionär erhoben. 1950 übernahm er einen Posten beim kommunistischen Jugendverband in Brandenburg, ein Jahr später wurde er FDJ-Chef in Mecklenburg. In dieser Zeit formte sich sein dogmatisches Weltbild: Über einen Marsch der FDJ nach West-Berlin im Rahmen der „Weltfestspiele“, bei dem es zu zahlreichen Verletzten kam, schrieb Modrow in seiner Autobiographie, dass er immer noch zu dem Zorn stehe, den er damals auf die Bundesrepublik verspürt habe. „Klassenreaktion stand gegen Klassenreaktion.“ Damals brach er auch den Kontakt zu seinen in der Bundesrepublik lebenden Eltern ab und zwar für immer.

„Klassenreaktion gegen Klassenreaktion“ – Weltfestspiele in Ost-Berlin mit DDR-Präsident Wilhelm Pieck (4.v.l.) (3)

Als aufstrebender Kader besuchte Modrow 1952/53 die Komsomol-Hochschule in Moskau. In dieser Zeit erreichte der Stalinismus in der DDR seinen Höhepunkt, am 17. Juni 1953 schlug sowjetisches Militär einen Arbeiteraufstand blutig nieder. Kurz darauf wurde Modrow FDJ-Chef von Berlin und ein Jahr später Mitglied der dortigen SED-Bezirksleitung. Nach dem Abschluss eines Fernstudiums an der Parteihochschule zog er 1958 als Dauerabgeordneter in die DDR-Volkskammer ein.

In dieser Zeit war Modrow ein gläubiger Stalinist – und ein folgsamer Diener von SED-Chef Walter Ulbricht. So berichtete Der Spiegel im November 1956 von einer Versammlung Ost-Berliner Studenten, auf der Modrow die Unruhen in Polen und Ungarn als „faschistischer Putschversuche“ bezeichnet habe. Als er zwei Jahre später bei den Wahlen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus vergeblich für die SED als Spitzenkandidat antrat, warf er den dortigen Behörden „Terror und Verfolgung“ vor.

Bald darauf machte Modrow auch in der SED Karriere. 1961 wurde der damals 33-jährige ihr Kreischef in Köpenick, einem Berliner Stadtteil mit immerhin 120.000 Einwohnern. Sechs Jahre später übernahm er den Posten des Sekretärs für Agitation und Propaganda bei der Berliner SED. 1971 wurde er schließlich Leiter der Abteilung für Agitation im SED-Zentralkomitee. Damit stand er an der Spitze des DDR-Propagandaapparates, der die ostdeutschen Medien lenkte und über die sogenannte Sichtagitation an den Straßen befand.

An der Spitze des DDR-Propagandaapparates – Zeitungskiosk an der Schönhauser Allee in Ost-Berlin 1971 (4)

SED-Chef von Dresden

1973 wurde Modrow dann SED-Chef im Bezirk Dresden – nicht um ihn abzuschieben, wie es in einigen Nachrufen hieß, sondern als ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter. Erst danach stockte sein Aufstieg trotz mehrerer hoher Orden. Im Weg stand ihm nicht nur, dass die wichtigsten Posten in der SED-Spitze bereits besetzt waren, sondern auch, dass westdeutsche Medien begannen, ihn mit dem Nimbus des Reformers zu versehen. Naturgemäß verschaffte ihm dies bei Parteichef Erich Honecker keine Sympathien.

In Modrows kleinem Reich war allerdings von Reformen nichts zu spüren. Die Diktatur der SED unterschied sich in Dresden nicht von der in Halle oder Leipzig. Dies zeigte sich besonders in der Endphase des Regimes, als der Druck von Ausreiseantragstellern und Bürgerrechtsgruppen immer stärker wurde.

Bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 schickte Modrow Abgesandte zu den Wahlkommissionen, damit diese die Ergebnisse manipulierten. Wegen Wahlfälschung und fahrlässigen Falscheides verurteilte ihn das Landgericht Dresden deshalb später zu zehn Monaten auf Bewährung. Im August kam es dann zu einem massiven Polizeieinsatz, als Umweltschützer gegen ein geplantes Reinst-Silizium-Werk im Stadtteil Gittersee protestieren wollten.

Wahlergebnisse manipuliert – Stimmenauszählung nach den DDR-Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 (5)

Mit Modrow sind aber vor allem die schlimmen Prügelszenen am Hauptbahnhof verbunden, als DDR-Bürger Anfang Oktober verzweifelt versuchten, zu den Zügen zu gelangen, mit denen Botschaftsflüchtlinge aus Prag in die Bundesrepublik ausreisen durften. Als Chef der Bezirkseinsatzleitung sorgte Modrow damals dafür, dass über 1300 Menschen festgenommen wurden. In einem Fernschreiben an Honecker brüstete er sich anschließend: „Mit dem entschlossenen Einsatz der Genossen der Sicherheitsorgane wurden staatsfeindliche terroristische Ausschreitungen unterbunden.“

Anders als in einigen Nachrufen behauptet, war es auch nicht Modrow, der am 9. Oktober mit einer 20-köpfigen Delegation aus Demonstranten Verhandlungen führte, um die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zu beenden. Das Gespräch führte vielmehr Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, der als erster SED-Politiker die Bereitschaft zum Dialog zeigte. Da Modrow seine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung der Proteste später leugnete, wurde er 1996 auch noch wegen meineidlicher Falschaussage verurteilt.

Als Egon Krenz Honecker ablöste, macht er Modrow zum Politbüromitglied und kurz darauf zum DDR-Ministerpräsidenten. Durch die Ernennung des vermeintlichen Reformers sollte die von der SED verkündete „Wende“ auch personell glaubhaft gemacht werden. Zusammen mit Gysi, dem früheren DDR-Spionagechef Markus Wolf und weiteren Genossen sorgte Modrow dann Anfang Dezember dafür, dass auch Krenz als langgedienter SED-Funktionär zurücktreten musste – wohingegen er selbst im Amt blieb.

Im Amt geblieben – SED-Funktionäre Modrow (l.) und Gysi nach den DDR-Volkskammerwahlen im März 1990 (6)

Kampf für den Erhalt der DDR

In den 150 Tagen als Ministerpräsident führte Modrow einen zähen Kampf für den Erhalt der SED, der Stasi und der DDR. Um den in der Bevölkerung verhassten Staatssicherheitsdienst aus der Schusslinie zu nehmen, ließ er diesen in Amt für Nationale Sicherheit umbenennen. Weil dort massenhaft Akten vernichtet wurden, besetzten Bürger jedoch ab Anfang Dezember immer mehr Dienststellen und der Runde Tisch forderte Modrow auf, die Stasi aufzulösen.

Der probierte es erneut mit einem Etikettenschwindel. Die DDR-Regierung beschloss, der Forderung nachzukommen, aber stattdessen einen „Verfassungsschutz“ und einen „Nachrichtendienst“ zu bilden. Erst nach massiven Protesten hob der Ministerrat Mitte Januar 1990 den Beschluss wieder auf. Die zuletzt 91 000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter wurden nun in andere Behörden versetzt, in den Vorruhestand geschickt oder mit üppigen „Übergangsbeihilfen“ belohnt. Hunderte Stasi-Vernehmer erhielten eine Anwaltslizenz, die auch nach der Wiedervereinigung gültig blieb. Funktionäre, die ein Seegrundstück oder eine Villa bewohnten, durften diese dank des sogenannten Modrow-Gesetzes zu einem symbolischen Preis zu ihrem Eigentum machen.

Während die Stasi ersatzlos aufgelöst wurde, überlebte die SED die Friedliche Revolution. Auf einem Sonderparteitag im Dezember 1989 appellierte Modrow an die Delegierten: „Lasst diese Partei nicht zerbrechen, nicht untergehen, sondern macht sie sauber und stark.“ Und in der Nacht drohte er: „Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei mehr zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht.“ Am Ende fand sich kein Delegierter mehr, der die Partei auflösen wollte.

„Lasst diese Partei nicht zerbrechen“ – Sonderparteitag der SED am 8. Dezember 1989 (7)

Dabei ging es Modrow auch und vor allem um die Rettung des riesigen SED-Parteivermögens. Wie das Berliner Landgericht feststellte, diskutierte die Parteispitze damals in praktisch jeder Sitzung, wie der Zugriff darauf erhalten bleiben könnte. Modrow setzte dabei ungeniert seine Kompetenzen als Regierungschef ein. Als die PDS, wie die SED inzwischen hieß, aus Angst vor einer Enteignung gut drei Milliarden DDR-Mark an den Staatshaushalt abführte, sorgte er dafür, dass das Geld an Parteifreunde weitergereicht wurde. Noch im Oktober 1990 fand in seiner Wohnung eine Krisensitzung statt, weil der sogenannte Putnik-Deal aufgeflogen war, bei dem die KPdSU der PDS fingierte Rechnungen ausstellen sollte.

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Nach den ersten freien Volkskammerwahlen musste Modrow sein Amt als Ministerpräsident aufgeben, weil die PDS nur 16 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik hörte Modrows Staat auf zu existieren. Die PDS revanchierte sich bei ihm für seinen Einsatz, indem sie ihn zu ihrem Ehrenvorsitzenden machte und für eine Wahlperiode ihn in den Bundestag entsandte. Von 1999 bis 2004 durfte er dann noch einmal ins Europaparlament. Mit 79 Jahren wurde er schließlich 2007 zum Chef des Ältestenrats der Linken ernannt.

Nostalgischer DDR-Verklärer

Jetzt profilierte sich Modrow vor allem als DDR-Nostalgiker. Mehrfach trat er mit Aussagen hervor, die den Versuch der Parteiführung, das Image der Diktaturpartei abzustreifen, konterkarierten. Als Modrow 2006 in einem Interview gefragt wurde, ob die DDR für ihn eine Diktatur oder eine Demokratie gewesen sei, antwortete er: „Sie ist für mich der Versuch einer sozialistischen Entwicklung, in der auch Demokratie mit Einschränkungen wirksam war.“ Und auf eine Frage nach den Mauertoten meinte er: „Die Verantwortung für die Toten tragen die Verantwortlichen auf beiden Seiten.“ Über die Stasi behauptete er, dass die von ihr hinterlassenen Aktenberge „eigentlich Harmlosigkeiten“ seien.

IM-Akten im Berliner Stasi-Unterlagen-Archiv. Im Hintergrund der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn.
„Eigentlich Harmlosigkeiten“ – Akten Inoffizieller Mitarbeiter im Berliner Stasi-Unterlagen-Archiv (8)

Die Liste derartiger Äußerungen ist damit noch nicht zu Ende. So unterzeichnete Modrow 2008 zusammen mit Krenz ein Papier, in dem die DDR als ein Land bezeichnet wurde, „in dem es sich gut leben und schaffen ließ“. Die Wiedervereinigung sei dagegen eine „Kolonisierung“ gewesen, mit „Deindustrialisierung und Vernichtung großer Teile der Landwirtschaft und ganzer Wirtschaftszweige.“ Das Papier mündete in die Frage: „Wo bleibt das Gedenken an die Opfer der Kolonisierung Ostdeutschlands?“

Der Ältestenrat der Linkspartei entwickelte sich unter Modrow zunehmend zu einem Ort der Diktaturverklärung. „Mit Nachdruck wenden wir uns deshalb auch gegen Diffamierungen und Verleumdungen des untergegangenen zweiten deutschen Staates,“ hieß es zum Beispiel 2008 in einer Erklärung. Der Rat hielt es für „erforderlich, eine bisher oftmals noch vorherrschende Konzentration auf eine Distanzierung von der Politik sozialistischer Führungskräfte im 20. Jahrhundert, von damaligen Unzulässigkeiten, Fehlern, sonstigen negativen Handlungen und ihren nachwirkenden Folgen zu überwinden.“

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Im März vergangenen Jahres machte Modrow noch einmal Schlagzeilen, als er eine „Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates“ zum Ukraine-Krieg verschickte. Darin hieß es: „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ Nach heftiger Kritik der Parteiführung, die beschloss, ihn von seinem Posten zu entbinden, trat Modrow öffentlich nicht mehr in Erscheinung.

Am 10. Februar ist der langjährige SED-Funktionär in Berlin gestorben.

Bildnachweis:
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(2) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0224-006 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA 3.0
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(4) Bundesarchiv, Bild 183-K0616-0001-151 / Mittelstädt, Rainer / CC-BY-SA 3.0
(5) Screenshot DDR-Fernsehen
(6) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0318-042 / Senft, Gabriele / CC-BY-SA 3.0
(7) Bundesarchiv, Bild 183-1989-1208-041 / Mittelstädt, Rainer / CC-BY-SA 3.0
(8) Hubertus Knabe

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