Der schwarze Kanal

Berühmt-berüchtigter SED-Propagandist - Der DDR-Fernsehmoderator Karl-Eduard von Schnitzler (Screenshot)

Ein Negativpreis soll Journalisten auszeichnen, die Propaganda statt Information verbreiten. Der Preis trägt den Namen des bekanntesten DDR-Propagandisten. Doch die Parallele zum SED-Regime ist falsch.

Von Hubertus Knabe

vgwort

Deutschland bekommt einen neuen Medienpreis. Verliehen werden soll er an die „skandalösesten Schwindel-Journalisten“, wie die Vorsitzenden der Stiftung Meinung & Freiheit, Roland Tichy und Hans-Georg Maaßen, am Tag der Deutschen Einheit mitteilten. Bis zum 30. Oktober können Leser und Zuschauer ihre Top-Kandidaten vorschlagen und, wenn dieser ausgewählt wird, ein GEZ-freies Jahr gewinnen. Der Name der Negativauszeichnung: „Karl-Eduard-von-Schnitzler-Preis für Propaganda-Journalismus“.

Ehemaligen DDR-Bürgern ist von Schnitzler noch in lebhafter Erinnerung. Vom 21. März 1960 bis zum 30. Oktober 1989 moderierte er jeden Montagabend die Fernsehsendung „Der schwarze Kanal“. Darin kommentierte er Ausschnitte westdeutscher Fernsehsendungen aus Sicht der SED, deren Parteiabzeichen er stets sichtbar am Jackett trug. Der willkürliche Zusammenschnitt und seine demagogischen Kommentare machten ihn zum unbeliebtesten – und deshalb bekanntesten – Journalisten der DDR. Der Liedermacher Wolf Biermann dichtete 1989 über ihn: „Hey, Schnitzler, du elender Sudel-Ede/Sogar, wenn du sagst, die Erde ist rund/Dann weiß jedes Kind: Unsre Erde ist eckig.“

Eine ähnliche Sendung gibt es nicht im deutschen Fernsehen. Auch Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“, dem die Berliner Zeitung „polemische Verkürzung“ als Grundprinzip vorwarf, betreibt keine annähernd vergleichbare Regierungspropaganda. Vor allem aber existieren – im Unterschied zur DDR – andere Fernsehsendungen, die eine abweichende Sicht auf die Wirklichkeit bieten. Wem die öffentlich-rechtlichen Medien nicht gefallen, kann zudem auf zahlreiche Youtube-Kanäle ausweichen.

Polemische Verkürzung als Grundprinzip – Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ (Screenshot)

Zur Begründung des neuen Preises führten Tichy und Maaßen Beispiele verzerrter Berichterstattung an. „Skandalöse Fälle von Desinformation und Manipulation sind heute Alltag in deutschen Medien,“ erklärten sie in einer Pressemitteilung. Aus ideologischen Gründen würden der Alltag verfälscht, missliebige Nachrichten verschwiegen und Kritiker verleumdet.

„Zunehmende politische Homogenisierung“

Dass deutsche Medien oftmals nicht objektiv berichten, ist eine Kritik, die seit längerem erhoben wird. In seinem Buch „Lückenpresse“ schreibt der Politikwissenschaftler Ulrich Teusch, Nachrichten würden in bestimmter Weise gewichtet, gezielt unterdrückt und tendenziös bewertet. Der Leipziger Medienwissenschaftler Christian Hoffmann diagnostiziert eine „Linksverschiebung“ und eine „zunehmende politische Homogenisierung“ unter Journalisten. Vor allem zu Beginn der Flüchtlingskrise und der Covid-19-Pandemie sei die Berichterstattung gleichförmig und „die jeweiligen Regierungslinien stützend“ gewesen.

Mit der Indoktrination in der DDR, auf die der Name des Preises verweist, hat dies freilich wenig zu tun. Im Unterschied zur Bundesrepublik unterstanden dort nämlich sämtliche Medien dem mächtigen ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda. Da sich die meisten Zeitungen im Besitz der SED befanden, wurden diese direkt von der Agitationskommission beim Politbüro und der Abteilung Agitation im Zentralkomitee gelenkt. Für die wenigen anderen war das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrats zuständig.

Herr über die DDR-Medien – ZK-Sekretär Joachim Herrmann (M.) bei der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung 1989 (1)

Wie weit die Kontrolle der Medien in der DDR ging, zeigen die Anweisungen an die Chefredakteure auf den wöchentlichen „Donnerstag-Argus“. Die SED-Funktionäre Hans Modrow und später Heinz Geggel gaben dort nicht nur die Themen der Berichterstattung vor („Keine Propaganda für Tiefkühltruhen“), sondern auch deren Kommentierung („Nichts Demobilisierendes, zu Pessimismus Anregendes publizieren“). Selbst die Platzierung und die Aufmachung wurden, zum Beispiel beim 70. Geburtstag von SED-Chef Erich Honecker, vorgegeben („Grußadresse, Protokoll, Bild, daneben Auszeichnung, Seite 3: Bilder aus dem Leben“). Honecker wiederum entschied persönlich, was beim SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ und bei der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ in welcher Weise dargestellt werden sollte.

Vielleicht ist die Benennung des neuen Preises nach dem bekanntesten SED-Propagandisten ja humorvoll gemeint. Dem entgegen steht allerdings die ernsthaft klingende Liste der Kriterien, nach denen die Preisträger ausgewählt werden sollen. Im Ergebnis entsteht der Eindruck, die Bundesrepublik sei eine Art zweite DDR. Das ist sie nicht, trotz mancher Missstände, auch und gerade im Journalismus. Denn dort wären die Initiatoren eines solchen Preises längst in Haft.

Bildnachweis:
(1) Bundesarchiv, Bild 183-1989-0115-011 / CC-BY-SA 3.0

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