Vor 30 Jahren wurde in der DDR die D-Mark eingeführt. Von der Währungsunion profitierten paradoxerweise vor allem die Funktionäre. Denn über Nacht wurde die umbenannte SED zur reichsten Partei Deutschlands. Auch die überhöhten Renten der Genossen wurden fortan in Devisen ausgezahlt – bis heute.
Von Hubertus Knabe
Der 30. Juni 1990 war ein warmer Sommertag – doch um Mitternacht knallten am Berliner Alexanderplatz die Sektkorken, als wäre es Sylvester. Hunderte DDR-Bürger warteten in dieser Nacht vor der provisorischen Filiale der Deutschen Bank, um zum ersten Mal im Leben von ihrem Konto D-Mark abzuheben. Manche hatten sich bereits am Nachmittag vor der Bank postiert.
In diesen Tagen jährt sich ein Ereignis zum 30. Mal, das viele Ostdeutsche fast so genau in Erinnerung haben wie den Mauerfall. Am 1. Juli 1990, einem Sonntag, wurde in der DDR die D-Mark eingeführt. Die Bedeutung, die dieser Vorgang für die meisten hatte, ist heute nur noch schwer zu vermitteln, weil sich niemand mehr das Leben in einer Mangelwirtschaft vorstellen kann. Es war, als würde man einen Gutschein bekommen, in einem gut bestückten Warenhaus alles mitzunehmen, was einem gefällt. Heißbegehrte Videorekorder, Fernsehgeräte oder Autos aus dem Westen waren in der noch-sozialistischen DDR erstmals frei erhältlich.
Die Umstellung von sozialistischen Alu-Chips auf harte Devisen war eine enorme logistische Herausforderung. Denn im Gegensatz zur Euro-Einführung erfolgte sie in einem anderen Staat, in dem es obendrein seit 1945 keine privaten Banken mehr gab. Da die Sparkasse, bei der die meisten DDR-Bürger ihr Konto hatten, nur 900 Agenturen besaß, mussten auch Container, Schulen und Polizeidienststellen zu Auszahlungsstellen umfunktioniert werden. Freiwillige aus dem Westen halfen schon im Juni bei den Vorbereitungen. Innerhalb von sechs Wochen musste die Bundesbank 460 Tonnen Banknoten im Wert von 27,5 Milliarden D-Mark drucken und über die holprigen DDR-Straßen an ihr Ziel bringen.
Grund für die Einführung der D-Mark in der DDR war die massenhafte Abwanderung von Ostdeutschen nach dem Mauerfall – und der wachsende Wunsch, die deutsche Teilung zu überwinden. Bis Ende 1989 verließen 340.000 DDR-Bürger ihre Heimat und der Ausreisestrom schwoll nicht ab. Im Januar 1990 zeigten Demonstranten im Eichsfeld erstmals die Parole: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“.
Anfang Februar diskutierte man auch im Bundeskanzleramt die Idee einer Währungsunion. Am 13. Februar vereinbarten Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow die Einsetzung einer Expertenkommission. Doch erst nach den Volkskammerwahlen im März, bei denen die SED lediglich 16 Prozent der Stimmen erhielt, begannen die Verhandlungen. Nach nur drei Wochen, am 18. Mai 1990, wurde der Vertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Bonn unterzeichnet.
Der Vertrag war – wie Kohl damals erklärte – die „Geburtsstunde des freien und einigen Deutschlands“. Nur drei Monate nach seinem Inkrafttreten trat die DDR der Bundesrepublik bei. Die Einführung der D-Mark verschärfte aber auch schlagartig die wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland nach 40 Jahren Planwirtschaft. Entgegen dem Rat der Ökonomen war nämlich ein völlig unrealistischer Umtauschkurs von eins zu eins festgelegt worden.
Für die DDR bedeutete dies einen Aufwertungsschock von rund 400 Prozent – ein „Kaltstart“ in die Marktwirtschaft, wie es der Ökonom Hans-Werner Sinn in seinem gleichnamigen Buch nannte. Aufgrund der geringen Produktivität lagen die Lohnstückkosten in Ostdeutschland plötzlich über denen der westdeutschen Industrie. Von einem Tag zum anderen mussten die Betriebe ihre Ausgaben zudem in D-Mark zahlen, die sie selbst nicht erwirtschaften konnten. Nach kurzer Zeit wurden sie zahlungsunfähig. Die neu eingerichtete Treuhandanstalt griff ihnen zwar anfangs noch mit großzügigen Krediten unter die Arme – doch dieses Geld verpuffte sinnlos, weil es nicht investiert wurde und viele Betriebe am Ende doch bankrottgingen.
Das Problem verschlimmerte sich noch, weil die Gewerkschaften nach der Wiedervereinigung verlangten, die ostdeutschen Gehälter müssten nun rasch an das westdeutsche Niveau angeglichen werden. Schon 1995 lagen die Arbeitskosten in den neuen Bundesländern dadurch höher als in Irland, so dass Ostdeutschland für Investoren uninteressant wurde. Die Folge: Rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze gingen verloren – eine Deindustrialisierung, von der sich der Osten bis heute nicht erholt hat.
Während diese Entwicklung in den letzten 30 Jahren immer wieder diskutiert wurde, ist ein anderer Aspekt der Währungsunion weitgehend unbeachtet geblieben: Von der Einführung der D-Mark profitierten nicht nur die einfachen DDR-Bürger, die plötzlich harte Währung auf ihrem Konto hatten. Vielmehr kam sie auch und vor allem den entmachteten Funktionäre zugute. Die SED, die sich im Februar 1990 in PDS umbenannt hatte, wurde sogar über Nacht zur reichsten Partei Deutschlands.
Im Staatsvertrag über die Währungsunion war nämlich vereinbart worden, dass nicht nur Preise und Löhne auf D-Mark umgestellt wurden, sondern auch die Geldvermögen. Zwar wurde für Summen über 4000 bzw. 6000 DDR-Mark ein Umtauschkurs von eins zu zwei festgelegt. Doch da auch dies eine massive Aufwertung bedeutete, vervielfachten sich dadurch die Vermögen. Für die umbenannte SED bedeutete dies, dass aus dem Geldvermögen von 6,2 Milliarden DDR-Mark, das sie am 1. Oktober 1989 besaß, plötzlich über drei Milliarden D-Mark wurden – also umgerechnet mehr als 1,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die stärkste Partei Deutschlands, die CDU, besaß 2018 mit 136 Millionen Euro nicht einmal ein Zehntel davon.
Allerdings hatte die SED-PDS unter ihrem Vorsitzenden Gregor Gysi dafür gesorgt, dass ein erheblicher Teil des Geldes zum Zeitpunkt der Währungsunion nicht mehr auf parteieigenen Konten lag. Bereits im Dezember 1989 hatte das Parteipräsidium den Beschluss Nr. 4/89 über „Maßnahmen zur Sicherung des Parteivermögens der SED-PDS“ gefasst. Eine spezielle Arbeitsgruppe kümmerte sich um die Umsetzung. Mit kriminellen Methoden versteckte die Partei Milliardenbeträge vor dem Zugriff des Staates.
Wie das geschah, darüber informierte 1998 der Bericht einer noch von der Volkskammer eingesetzten Untersuchungskommission. Mit großer Geste trat die Partei zum Beispiel gut drei Milliarden DDR-Mark an den ostdeutschen Staatshaushalt ab – doch hinter den Kulissen sorgte sie dafür, dass das Geld befreundeten Organisationen zufloss. Eine zweite Methode, das Geld verschwinden zu lassen, waren „Spenden“ an parteinahe Einrichtungen. Nach Angaben der Kommission verteilte die PDS auf diese Weise allein im Frühjahr 1990 rund 400 Millionen DDR-Mark an Unterstützer.
Schließlich verlieh die Partei Millionenbeträge an zuverlässige Genossen, die damit private Unternehmen gründen sollten. Wie das Berliner Landgericht 1995 feststellte, hatte Gysi damals „die Idee entwickelt, sich zur Vermögenssicherung der Vergabe von Darlehen zu bedienen und diese mit Treuhandverhältnissen zu kombinieren“. Tatsächlich fungierten die frisch gebackenen Unternehmer nämlich nur als Strohmänner der Partei, was in geheimen Treuhandverträgen fixiert wurde. Zum Abschluss dieser Verträge erteilte Gysi am 17. April 1990 eine spezielle Vollmacht.
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Die PDS beendete diese Praxis auch nicht, nachdem die DDR-Volkskammer am 31. Mai 1990 beschloss, das Vermögen der Parteien unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Vermögensveränderungen durften ab diesem Zeitpunkt gemäß Parteiengesetz „wirksam nur mit Zustimmung“ der Untersuchungskommission vorgenommen werden. Doch allein bis zum 30. Juni 1990 vergab der Parteivorstand Darlehen in Höhe von 417 Millionen DDR-Mark an mehr als 100 Unternehmen. Die Geheimverträge flogen nur deshalb auf, weil die Kommission über fünfzig Hausdurchsuchungen durchführen ließ, vor allem in PDS-nahen Notariatskanzleien.
Mehrfach wurde auch die Berliner Parteizentrale durchsucht, zum ersten Mal kurz nach der Wiedervereinigung. Anlass war der sogenannte Putnik-Deal, mit dem die PDS versucht hatte, 107 Millionen D-Mark ins Ausland zu verschieben. Der damalige Kreisvorsitzende in Halle war zu diesem Zweck beauftragt worden, Rechnungen über angebliche Altschulden gegenüber der KPdSU zu schreiben. Zugleich gründete er im Namen der Firma „Putnik“ mehrere ausländische Konten, auf die das Geld überwiesen wurde. Nur weil die Empfängerbanken das Bundeskriminalamt informierten, flog die Sache auf. In einem Untreue-Prozess stellte das Berliner Landgericht später fest, dass Gysi damals eigens nach Moskau geflogen sei, um die KPdSU „zur Aufrechterhaltung der Legende hinsichtlich bestehender Altforderungen zu bewegen.“
Wie viel Geld die PDS auf diese Weise beiseiteschaffen konnte, ist heute nur schwer festzustellen. Ihr gigantisches Vermögen, das am 1. Juli 1990 in D-Mark umgewandelt wurde, verringerte sich jedenfalls schlagartig. Als die Treuhandanstalt ein Jahr später sämtliche Parteikonten beschlagnahmte, waren von den einst 6,2 Milliarden DDR-Mark nur noch 205 Millionen D-Mark übrig geblieben. Auch die 700 Millionen DDR-Mark, die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zwischen dem 1. Oktober 1989 und dem 30. April 1990 bei der Staatsbank der DDR abgehoben hatten, sind nicht mehr aufgetaucht.
Die Funktionäre der SED profitierten aber nicht nur von der Verteilung und dem Umtausch großer Vermögen. Die Währungsunion sicherte ihnen auch lebenslang privilegierte Altersbezüge. Der Staatsvertrag sah nämlich vor, die Renten von nun an eins zu eins in D-Mark auszuzahlen und die Ansprüche aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in die allgemeine Rentenversicherung zu überführen. Zwar sollten überhöhte Leistungen abgebaut werden, doch die entsprechenden Regelungen wurden später fast alle vom Bundesverfassungsgericht gekippt.
Offiziere des Staatssicherheitsdienstes, die ohnehin überdurchschnittlich gut verdienten, erhielten in der DDR zum Beispiel nach Erreichen der Altersgrenze 75 Prozent ihres letzten Gehaltes zu. Zwei Tage vor der Einführung der D-Mark beschloss die DDR-Volkskammer deshalb, die Funktionärsrenten zu begrenzen – auf maximal 2010 D-Mark monatlich. Stasi-Mitarbeiter sollten nur noch das Doppelte eine DDR-Mindestrente erhalten – maximal 990 D-Mark. Die Altersbezüge der rentennahen Jahrgänge blieben allerdings für fünf Jahre unverändert.
Die Entscheidung, die Sonderrenten für Funktionäre in die allgemeine Rentenversicherung zu überführen, diente den Gerichten später als Argument, sie unter den Eigentumsschutz des Grundgesetzes zu stellen. Zwar hatte der Bundestag 1991 beschlossen, Stasi-Mitarbeitern und übermäßig viel verdienenden Mitarbeitern des Partei- und Staatsapparates nur eine DDR-Durchschnittsrente zu zahlen. Nach zahlreichen Klagen wurde die Rentenkappung 1993 jedoch für diverse Berufsgruppen aufgehoben und für die übrigen eine gleitende Obergrenze eingeführt. 1996 beschloss der Bundestag, auch die verbliebenen Obergrenzen weitgehend aufzuheben.
1999 kippte das Bundesverfassungsgericht auch noch den Großteil der restlichen Begrenzungen. Der Bundestag musste deshalb die Renten für ehemalige Stasi-Mitarbeiter um 30 Prozent anheben. Für 85 000 Spitzenfunktionäre wurden die Rentengrenzen gänzlich abgeschafft. Die Witwe von SED-Chef Erich Honecker erhielt damals zum Beispiel eine Rentenerhöhung von 400 D-Mark und eine Nachzahlung von 45 000 D-Mark. Nach einem erneuten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurden 2005 weitere 25 000 Spitzenverdiener des Partei- und Staatsapparates von den Begrenzungen ausgenommen.
Bis auf die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, die nach wie vor eine DDR-Durchschnittsrente bekommen, und ein paar hundert Funktionäre, die direkt für Verfolgungen verantwortlich waren, dürfen die Träger des SED-Regimes seitdem wieder ihre alten Privilegien in Anspruch nehmen – in harter Währung allerdings, nicht in nicht-konvertiblem DDR-Geld. So paradox es klingt: Keine andere gesellschaftliche Gruppe in Ostdeutschland hat von der Einführung der D-Mark so profitiert wie diejenigen, die die Diktatur der SED 40 Jahre lang betrieben.
Der Text erschien zuerst in: Die Welt und Weltonline vom 23. Juni 2020.
(1) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0706-400 / Kasper, Jan Peter / CC-BY-SA 3.0
(2) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0701-016 / Wolfried Pätzold / CC-BY-SA 3.0
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(4) Felix O / CC BY-SA
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(7) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0419-418 / Schindler, Karl-Heinz / CC-BY-SA 3.0
(8) Bundesarchiv, Bild 183-1988-1019-031 / CC-BY-SA 3.0