In den 1980er Jahren feierte die Demokratie weltweit einen Siegeszug – nicht nur in der DDR, sondern auch im Ostblock, in Lateinamerika, in Südafrika und sogar in Taiwan. Inzwischen sind Diktaturen wieder auf dem Vormarsch. Die Publizistin Anne Applebaum sieht dadurch den Fortbestand der Demokratie bedroht. Ihr jüngstes Buch ist ein Appell, sich den Autokraten entschlossener entgegenzustellen.
Von Hubertus Knabe
Der Einmarsch in die Ukraine lag drei Wochen zurück, als der russische Außenminister Sergei Lawrow die Karten auf den Tisch legte: „Es geht nicht um die Ukraine, sondern um die Weltordnung“, erklärte er im gleichgeschalteten Fernsehsender RBC. Die aktuelle Krise sei ein schicksalhafter, epochemachender Moment. „Sie ist Teil der Auseinandersetzung um die Form der künftigen Weltordnung.“
Das Zitat des russischen Außenministers ist nur eines von vielen Beispielen, das die amerikanisch-polnische Publizistin Anne Applebaum zu dem Schluss bringt, dass in der internationalen Politik eine grundlegende Änderung eingetreten sei: Diktatoren gingen nicht mehr nur gewaltsam gegen die eigene Bevölkerung vor, sondern wollten das gesamte völkerrechtliche Regelwerk außer Kraft setzen. Um schalten und walten zu können, wie sie wollten, würden UN-Charta und Menschenrechtskonventionen durch das Recht des Stärkeren ersetzt. „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 war die erste militärische Schlacht im Konflikt zwischen der Achse der Autokraten und der demokratischen Welt,“ so die Autorin. Für ihr Buch „Die Achse der Autokraten“ erhielt sie 2024 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Das Szenario, das Applebaum entfaltet, wirkt in der Tat bedrohlich. Moderne Diktaturen bestehen demzufolge nicht mehr nur aus einem autokratischen Herrscher, der sich auf Polizei und Armee stützt. Sie sind vielmehr komplexe Gebilde mit kleptokratischen Strukturen, einem riesigen Sicherheitsapparat und einer umfassenden Kontrolle der Bürger. Umstürze durch Massenbewegungen, wie sie einst in der DDR, in Osteuropa und in der arabischen Welt stattfanden, seien unter diesen Umständen kaum mehr möglich.

Das liegt vor allem daran, so die Autorin, dass sich die Autokraten gegenseitig stützten – militärisch, politisch und wirtschaftlich. Anders als früher spielten weltanschauliche Differenzen dabei keine Rolle mehr. Durch die Lieferung von Sicherheitstechnik oder durch Umgehung internationaler Sanktionen stabilisierten sich rechte, linke und islamistische Diktaturen gegenseitig. Auf diese Weise hat die „Achse der Autokraten“ dafür gesorgt, dass das Faustrecht in die Politik zurückgekehrt ist.
Selbstbereicherung und brutale Gewalt
Neben Russland und China rechnet Applebaum noch rund 50 weitere Länder zu den Autokratien der Gegenwart. Gemeinsam sei ihnen das Ziel, die Bürger von allen Entscheidungen auszuschließen, Transparenz und Rechenschaft zu verweigern und Kritiker im In- und Ausland zu verfolgen. Die brutale Gewalt, die sie dabei anwenden, werde nicht mehr kaschiert, sondern offen zur Schau gestellt, um Widerstand von vorneherein als zwecklos erscheinen zu lassen. Eine weitere Gemeinsamkeit sei die skrupellose Selbstbereicherung der Autokraten und ihrer Unterstützer. Dabei seien ihnen westliche Unternehmen, Steuerberater und Rechtsanwälte behilflich, das ihren Ländern abgepresste Geld in den sicheren Hafen westlicher Rechtsstaaten zu bringen.
Nichtregierungsorganisationen, Bürgerbewegungen und Demonstrationen sind diesen Herrschern ebenso ein Dorn im Auge wie Versuche, ihnen durch rechtliche Mittel oder internationalen Druck entgegenzutreten. Deshalb verwahren sie sich nicht nur gegen jede „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ ihrer Länder und propagieren eine „multipolare Weltordnung“, in der jeder machen kann, was er will. Vor allem Russland und China entfalteten vielmehr umfassende Bemühungen, die Demokratie und „den Westen“ insgesamt in Misskredit zu bringen. Ausführlich zeichnet die Autorin nach, mit welchem Aufwand beide Länder die Öffentlichkeit in Afrika, Europa und Amerika beeinflussen.

Zu diesem Vorgehen gehört es auch, Kritiker, die Hoffnung auf einen Wandel machen könnten, systematisch zu diskreditieren. Applebaum schildert beispielhaft das Schicksal von Evan Mawarire, einem Pastor der Pfingstgemeinde in Simbabwe, der berühmt wurde, nach dem er ein verzweifeltes Video über den Zustand seines Landes gepostet hatte. Die Regierung startete daraufhin eine Kampagne, in der sie ihm vorwarf, er werde von westlichen Regierungen bezahlt. Irgendwann resignierte er und ging ins Exil. Mit derselben Methode, von Menschenrechtsorganisationen als „bürgerlicher Tod“ bezeichnet, ging die russische Regierung auch gegen Alexej Nawalny und Wolodymyr Selenskyj vor und die Militärjunta in Myanmar gegen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.
Was tun gegen den Vormarsch der Autokraten?
Im letzten Teil des bis dahin wenig hoffnungsvoll stimmenden Buches sucht die Autorin nach Gegenstrategien zu dieser Entwicklung. Sie fordert, den Kampf um Freiheit nicht als geopolitischen Wettstreit mit einzelnen Staaten wie China aufzufassen, sondern als allgemeinen Kampf gegen autokratische Verhaltensweisen. Dazu brauche es internationale Netzwerke, aber auch einer engeren Zusammenarbeit von Militär und Geheimdiensten in den bedrohten Demokratien. Zudem müsse der grenzüberschreitenden Kleptokratie ein Ende gesetzt werden, indem anonyme Geschäfte untersagt werden. Nicht zuletzt spricht sich Applebaum für eine wirtschaftliche Entkoppelung von Russland und China aus, um die schleichende Unterwanderung und politische Abhängigkeiten zu reduzieren.
Damit die Demokratien im Informationskrieg bestehen können, müssten darüber hinaus die Regeln digitaler Information geändert werden, die derzeit oftmals den Autokraten zugutekämen. Nutzer sozialer Medien sollten Einfluss auf die Algorithmen nehmen und selbst darüber entscheiden können, was sie zu sehen bekommen. Dazu sollten die Gesetzgeber die technischen und rechtlichen Mittel schaffen. Sie sollten auch die Konzerne zur Verantwortung ziehen, wenn deren Algorithmen extremistische und rechtswidrige Inhalte begünstigten. Tatsächlich ist es für Diktatoren heute sehr viel leichter, im Westen Desinformationen zu verbreiten als zu Zeiten von KGB und Stasi.

Applebaums Buch ist kein wissenschaftliches Werk. Es zeichnet aber glaubhaft nach, wie Autokraten die Demokratie weltweit bedrohen. Merkwürdig ausgespart wird allerdings die Frage, was westliche Politiker selbst dazu beigetragen haben, dass die Demokratie an Strahlkraft verloren hat. Denn die Unzufriedenheit vieler Bürger mit ihren Regierungen dürfte weniger mit russischer Einflussnahme zu tun haben als mit woker Abgehobenheit und mangelnder Problemlösungskompetenz, etwa in der Migrations- oder Energiepolitik. Dies zu ändern ist mindestens ebenso wichtig, wie die Demokratie vor äußeren Angriffen zu schützen.
Bildnachweis:
(1) Kremlin.ru / CC BY 4.0, President.az / CC BY 4.0, Khamenei.ir /CC BY 4.0
(2) Staff Sgt. D. Myles Cullen (USAF)
(3) Zlad!, CC0