Die unerwartete Auferstehung der Linken

Mit 77 Jahren in den Bundestag - Ex-SED-Vorsitzender Gregor Gysi bei der Linken-Wahlparty am 23. Februar 2025 (1)

Viele Beobachter hatten die Linkspartei schon abgeschrieben. Bei den Bundestagswahlen hat sie überraschend stark abgeschnitten. Doch der Erfolg ist womöglich nur von kurzer Dauer.

Von Hubertus Knabe

„Totgesagte leben länger“ lautet ein Sprichwort, das angeblich auf die Auferweckung des verstorbenen Lazarus durch Jesus Bezug nimmt. Bei den Bundestagswahlen am vergangenen Sonntag war es die Partei Die Linke, die überraschend zu neuem Leben erweckt wurde. Erreichte sie noch im Januar bei Umfragen lediglich vier Prozent, konnte sie ihren Stimmenanteil am Wahltag mit 8,8 Prozent mehr als verdoppeln. Woran liegt der plötzliche Höhenflug der Linken – und wird er von Dauer sein?

Innenpolitisch gab es in den letzten Wochen vor allem ein Ereignis, das zur Wiederauferstehung der Linkspartei beigetragen hat: Die Verabschiedung eines Unionsantrages im Bundestag am 30. Januar, der mit Hilfe der AfD eine Mehrheit fand. Die Skandalisierung der rechtlich folgenlosen Abstimmung zur Migrationspolitik durch SPD, Grüne, viele Medien sowie die Kirchen bewirkte eine unerwartete Mobilisierung des linken Lagers. Vor allem jüngere Wähler meinten, Unionschef Friedrich Merz könnte nach der Wahl gemeinsame Sache mit der AfD machen. Ihren Protest dagegen drückten sie nicht nur in zahlreichen Demonstrationen „gegen rechts“ aus. Er bewirkte auch, dass sie am Wahltag ihr Kreuz bei der linkesten Partei Deutschlands machten.

Dass sich die Extreme gegenseitig stärken und dabei die politische Mitte zerreiben, ist ein bekannter Vorgang. Er war ein wesentlicher Grund für das Scheitern der Weimarer Republik. Auch bei den letzten Parlamentswahlen in Frankreich führte er zur Stärkung der Radikalen von rechts und links. Dass im Antrag der Union stand, die AfD würde Deutschlands Sicherheit und Wohlstand gefährden und sei deshalb kein Partner, sondern politischer Gegner, wurde in der Berichterstattung an den Rand gedrängt.

Gegenseitige Stärkung der Extreme – Wahlplakate von NSDAP und KPD aus der Endzeit der Weimarer Republik

Das Beispiel Berlin

Wie die Linke vom Umfragehoch der AfD profitierte, kann man in Berlin studieren. In fast allen östlichen Bezirken belegten die Direktkandidaten der Linkspartei den ersten Platz. Noch vor Kurzem hätte die wenig bekannte Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner kaum Chancen gehabt, im Bezirk Lichtenberg das Direktmandat zu erringen. Da aber im selben Wahlkreis die Spitzenkandidatin der Berliner AfD Beatrix von Storch antrat, vielen noch durch eine Äußerung zum Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze in Erinnerung, stimmten 34 Prozent für Schwerdtner. In anderen Ost-Bezirken und im West-Bezirk Neukölln votierten die Wähler ähnlich reflexhaft für die Linke, um damit der AfD entgegenzutreten.

Erheblich beigetragen zu dieser Renaissance der Linken haben auch die Medien. Kaum war die von vielen bereits abgeschriebene Partei in einer Umfrage über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen, entfachten sie einen regelrechten Hype um die vermeintliche Wiederauferstehung der SED-Erben. Eine nicht-repräsentative Abstimmung von unter 18-jährigen, bei der die Linke 20,8 Prozent der Stimmen erhielt, schaffte es sogar in die Tagesschau und in die heute-Sendung. Da die meisten Wähler ihre Wahlentscheidung immer kurzfristiger treffen und dabei oft dem gerade vorherrschenden Trend folgen, erhielt die Linke so noch einen zusätzlichen Push. Wer mit dem Gedanken spielte, die Partei zu wählen, konnte nun davon ausgehen, dass seine Stimme nicht verloren gehen würde.

Ein Grund für den Erfolg der Linken war darüber hinaus ihr politischer Populismus – also das, was sie sonst anderen Parteien vorwirft. Gerade junge Menschen, die über gar kein oder nur ein geringes Einkommen verfügen, sind für Forderungen wie nach einem „Mietendeckel“ empfänglich. Das liegt auch daran, dass die historische und ökonomische Bildung in den Schulen seit Jahren sträflich vernachlässigt wird. Das einzige Bildungsprojekt in Deutschland, das Jugendliche über linksextremistisches Gedankengut aufklärte, wurde durch die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen am 1. Januar eingestellt. Dabei liegt auf der Hand, dass, wenn man eine knappe Ware künstlich verbilligt, sie noch knapper und damit am Ende noch teurer wird, und sei es durch Bestechung. Die himmelschreiende Wohnungsnot in der DDR und der Zerfall der ostdeutschen Altstädte aufgrund eingefrorener Mieten müssten eigentlich ein mahnendes Beispiel sein.

Himmelschreiende Wohnungsnot und zerfallende Altstädte – Hinterhof in der Nikolaistraße in Leipzig 1980 (2)

Die Folgen einer solchen Politik kann man in der „Mieterstadt“ Berlin besonders gut studieren. Wer hier eine günstige Wohnung hat, gibt sie nicht mehr ab – selbst wenn sie viel zu groß geworden ist oder leer steht. Und wer sich als Alterssicherung eine Wohnung gekauft hat, lässt sie lieber leer stehen, als sie für wenig Geld an Fremde zu vermieten. Der Mietendeckel, der 2020 auf Betreiben der Linken vorübergehend eingeführt wurde, ließ das Wohnungsangebot denn auch innerhalb weniger Monate um 47,4 Prozent einbrechen. Nach den jüngsten Wahlen, bei denen die Linke mit 19,9 Prozent stärkste Kraft wurde, dürfte sich das Wohnungsproblem weiter verschärfen. Denn Investoren, die dafür sorgen könnten, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt und die Preise dadurch sinken, dürften von diesem Wahlergebnis nachhaltig abgeschreckt sein.

Ähnlich kurzsichtig ist auch die Forderung der Linken nach einem Preisstopp für Lebensmittel und einem „Inflationsgeld“ für niedrige und mittlere Einkommen. Künstlich verteuerte Energiepreise und ständig wachsende Staatsausgaben führen nämlich zwangsläufig zu Preissteigerungen. Wer noch höhere Ausgaben und dafür eine Aufhebung der Schuldenbremse fordert, verstärkt diesen Prozess. Auch hier ist die DDR ein warnendes Beispiel: Ihre Politik, die Preise zu deckeln und gleichzeitig die Löhne zu erhöhen, hatte Verschwendung, Mangelwirtschaft und am Ende den Staatsbankrott zur Folge.

Zum Erfolg der Linken dürfte auch ihre Kampagne gegen „Reiche“ beigetragen haben. Das Schüren von Neid und Ressentiments gegenüber wirtschaftlich vermeintlich Bessergestellten war schon immer ein erfolgreiches Propagandainstrument. Dabei war klar, dass die Linke, wenn sie in den Bundestag einzieht, in die Opposition müsste, also keinen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen könnte. Die Verteufelung der Besserverdienenden befördert zudem die Abwanderung derjenigen, die den größten Teil der Steuerlast tragen, verringert also das Steueraufkommen. Und die Vermögenssteuer, die die Linkspartei fordert, würde ausgerechnet die besonders standorttreuen Familienunternehmen treffen. Mehr Insolvenzen und Unternehmensverkäufe an internationale Kapitalgesellschaften wären die Folge.

Verteufelung der wichtigsten Steuerzahler – Linken-Wahlplakat gegen „Reiche“ in Berlin (3)

Fossil aus vergangenen Zeiten

Wie lange die Linke mit ihren populistischen Parolen Erfolg hat, wird sich zeigen. Vielen Wählern war bei der Stimmabgabe noch nicht bewusst, dass sich die internationalen Rahmenbedingungen in den letzten Wochen fundamental verändert haben. Durch die Abwendung Donald Trumps von Europa und die aggressiven Bestrebungen Russlands ist Deutschlands Sicherheit akut bedroht. Sollte Putin ein östliches NATO-Land angreifen, ist zweifelhaft, ob sich das westliche Verteidigungsbündnis geschlossen zur Wehr setzt. Die Folge ist, dass sich die Bundesrepublik in Zukunft selbst verteidigen muss, wofür in den nächsten Jahren massive Rüstungsinvestitionen erforderlich sind.

Im Lichte dieser unschönen Realität erscheint die Linke wie ein Fossil aus vergangenen Zeiten. Wenn sie sich den neuen Herausforderungen nicht stellt, wird sie wohl über kurz oder lang wieder dort landen, wo sie sich zu Jahresbeginn befand – in der Bedeutungslosigkeit.

Bildnachweis
(1) DIE LINKE / CC BY 2.0
(2) Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / “Leipzig — 1980 — 17” / CC BY-SA 4.0
(3) Leonhard Lenz, CC0

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