Linksradikale Aktivisten haben in Berlin ein Volksbegehren gestartet, um mehr als 200.000 Wohnungen zu enteignen. Sie zielen damit auf ein Fundament der freiheitlichen Gesellschaft – nicht zum ersten Mal in der Geschichte.
Von Hubertus Knabe
Die Ansage war eindeutig: „In Berlin leben Menschen aus 160 Nationen. Das ist wunderbar,“ schrieb Michael Prütz auf Twitter. „Die einzigen, die stören sind neoliberale Apologeten wie Sie und die Spekulanten mit dazu.“
Der Mann, der darüber entscheiden will, wer in der deutschen Hauptstadt „stört“, ist Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die Gruppe aus mehreren Hundert linken Aktivisten sammelt derzeit Unterschriften für ein Volksbegehren, das den Berliner Senat auffordert, „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“ erforderlich sind. Geht es nach ihnen, sollen alle Eigentümer mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden – zusammen rund 226.000 Wohneinheiten.
Die Initiative ist eng verbunden mit der Linkspartei, die schon im Europawahlkampf 2019 für sie warb. Auch jetzt schult die Partei die Aktivisten und promotet sie auf Plakaten und im Internet. Doch auch die Berliner Grünen, die Jungsozialisten, der Berliner Mieterverein und die Gewerkschaften Verdi und IG Metall haben sich mittlerweile dahinter gestellt. Von den überwiegend linksorientierten Hauptstadt-Journalisten bekommen sie ebenfalls Zuspruch. Nur die SPD hat im rot-rot-grünen Senat noch Bedenken.
Michael Prütz ist inzwischen ein gefragter Mann. Während sich früher kaum jemand für den 68-jährigen interessierte, laden ihn jetzt Spiegel, Deutschlandfunk und Sandra Maischberger zum Interview. Der Alt-Linke, der früher Waffen für kurdische Milizionäre sammelte und als Anmelder der linksradikalen 1. Mai-Demonstration in Berlin in Erscheinung trat, schimpft dort auf die Immobilienkonzerne, die „mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Profit erzielen” wollten. Dass ihm Grüne und PDS einst vorwarfen, Spendengelder abgezweigt zu haben, hindert ihn nicht daran, es für „moralisch verwerflich“ zu erklären, eine Wohnung zu kaufen und gewinnbringend zu vermieten.
Prütz und sein Mitstreiter Rouzbeh Taheri träumten früher in trotzkistischen Sekten vom Sturz des kapitalistischen Systems. Als Mitglieder der WASG war ihnen selbst die PDS zu rechts.
Mit ihrer Enteignungskampagne sind sie ihrem politischen Ziel nun erstmals etwas näher gekommen. Für den Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens bekamen sie vor zwei Jahren 58.000 gültige Unterschriften zusammen. Nach dessen Start am 26. Februar sammelten sie in vier Wochen 47.000 neue Unterschriften. In einer Stadt, in der mehr als 80 Prozent aller Wohnungen von Mietern bewohnt werden, eignen sich Vermieter als Feindbild offenbar besonders gut.
Den linken Aktivisten geht es allerdings nicht um eine Verbesserung der Lage auf dem Wohnungsmarkt. Ihr Kampf ist vielmehr ideologisch motiviert. „Es verletzt Menschen in ihrer Würde,“ heißt es auf ihrer Website, „wenn sie zur Verschiebemasse für profithungrige Konzerne werden.“ Und: „Vom Senat erwarten wir, die fehlgeleitete Politik massiver Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände zu korrigieren.“ In einer Sprache, die an dunkle Epochen deutscher Geschichte erinnert, sprechen sie von „Miethaien“, die ihre Mieter lediglich „ausquetschen“ und „unsere Stadt zur Beute einiger gieriger Profitjäger“ machen wollten. Die „internationalen Glücksritter“, die angeblich „wie die Heuschrecken über Berlin einfallen,“ will man „abschrecken“.
Der Volksentscheid von 1926
Es ist nicht der erste Versuch linker Ideologen, privates Eigentum per Volksentscheid in Staatsbesitz zu überführen. Bereits 1926 und 1946 gab es ähnliche Abstimmungen. Schon damals stand dahinter das Kalkül, dass man für punktuelle Forderungen leichter Zuspruch bekommt. Denn bei allgemeinen Wahlen haben Linksradikale noch nie eine Mehrheit in Deutschland gewonnen. Zudem muss man bei Volksentscheiden meist nur eine Minderheit überzeugen. So gilt eine Forderung in Berlin bereits als angenommen, wenn ein Viertel der Stimmberechtigten dafür stimmt – es sei denn, eine noch größere Anzahl stimmt explizit dagegen.
Beim Volksentscheid von 1926 ging es um den Besitz der deutschen Fürstenhäuser. Im Zuge der Novemberrevolution war dieser von den Ländern beschlagnahmt worden. Die KPD initiierte nun eine Kampagne, die Fürsten entschädigungslos zu enteignen – entgegen Artikel 153 der Weimarer Verfassung. Auch damals bereitete ein kommunistisch dominierter Ausschuss ein Volksbegehren vor. Nach anfänglichem Zögern beteiligte sich auch die SPD daran. Im März 1926 unterschrieben dann 12,5 Millionen Stimmberechtigte die Listen – mehr als dreimal so viele wie erforderlich.
Das Enteignungsgesetz, das KPD und SPD daraufhin in den Reichstag einbrachten, fand dort allerdings keine Mehrheit. Drei Monate später kam es deshalb zum Volksentscheid. Pferdewagen zogen Plakate durch Berlin mit Aufschriften wie: „Den Fürsten keinen Pfennig! Sie haben genug!“. Die SPD erklärte die Abstimmung zum „Entscheidungskampf“ zwischen dem demokratischen Deutschland und den „wieder sich aufrichtenden Mächten der Vergangenheit“. Auch die Jugendorganisationen der bürgerlichen Parteien forderten, mit „Ja“ zu stimmen.
Anders als heute bildete sich jedoch ein Gegen-Ausschuss. In diesem engagierten sich vor allem die bürgerlichen Parteien und die Kirchen. Unterstützt von zahlreichen Spendern, riefen sie zum Boykott der Abstimmung auf. Der Bischof von Passau bezeichnete eine Beteiligung sogar als „schwere Versündigung“ gegen das christliche Gebot „Du sollst nicht stehlen.“
Bei der Abstimmung am 20. Juni 1926 votierten 14,5 Millionen oder 36,5 Prozent der Stimmberechtigten mit „Ja“. In Berlin bekamen die Befürworter sogar eine absolute Mehrheit. Da die Forderung jedoch der Verfassung widersprach, wäre eine solche im gesamten Reich erforderlich gewesen. Der Volksentscheid scheiterte deshalb.
An der Kampagne zur Enteignung der Fürsten wollte sich anfangs auch der linke Flügel der NSDAP beteiligen. Er wurde aber von Adolf Hitler zurückgepfiffen. Stattdessen forderten die Nationalsozialisten, die nach Deutschland eingewanderten Ostjuden zu enteignen. Im Februar 1933 setzten sie dann selbst das Grundrecht auf Eigentum durch die sogenannte Reichstagsbrandverordnung außer Kraft. Zum ersten Mal seit Mitte des 19. Jahrhunderts existierte damit in Deutschland keine verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie mehr.
Plebiszit in Sachsen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs initiierten die deutschen Kommunisten erneut eine Volksabstimmung über Enteignungen. Diesmal ging es um die Verstaatlichung von fast 2000 Industriebetrieben in Sachsen.
1945 hatte die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone bereits umfangreiche Enteignungen vorgenommen. Außer Banken und Versicherungen wurden auch die Schwerindustrie sowie zahlreiche mittelständische Betriebe, Handels- und Dienstleistungsunternehmen beschlagnahmt. Im September folgte die entschädigungslose Enteignung von rund 7.000 Gutsbesitzern. Viele Eigentümer verschwanden damals in einem der wiederbelebten Konzentrationslager aus der Nazi-Zeit.
Im Februar 1946 wies Stalin die deutschen Kommunisten an, die Enteignungen durch ein Plebiszit zu legitimieren. Die KPD in Sachsen forderte deshalb einen Volksentscheid über ein Enteignungsgesetz. Mit dem Argument, es ginge nur um „Kriegsverbrecher“ und „Naziaktivisten“, holte sie auch CDU, Liberale und Gewerkschaften ins Boot. Die SPD vereinigte sich ohnehin gerade mit der KPD.
Das Gesetz bestand im Wesentlichen nur aus einem Artikel. Der sah vor, „das ganze Vermögen der Nazipartei und ihrer Gliederungen und die Betriebe und Unternehmen der Kriegsverbrecher, Führer und aktiven Verfechter der Nazipartei und des Nazistaates, wie auch die Betriebe und Unternehmen, die aktiven Kriegsverbrechern gedient haben,“ zu enteignen. Welche Unternehmen gemeint waren, erfuhren die Wähler erst unmittelbar vor der Abstimmung. Christ- und Liberaldemokraten hatten zuvor die willkürlichen Einstufungen kritisiert und vergeblich eine rechtsstaatliche Überprüfung gefordert.
Auf Plakaten und Flugblättern wurden die Unternehmer kollektiv für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verantwortlich gemacht. Unter der Parole „Sichert den Frieden!“ wurden mehr als 580.000 Wähler auf knapp 2.900 Veranstaltungen agitiert. Auch die staatlich kontrollierten Medien und die Kirchen stimmten in den Chor mit ein.
Bei der Abstimmung am 30. Juni 1946 sprachen sich 77,7 Prozent der Stimmberechtigten für das Gesetz aus. 1.861 Betriebe wurden entschädigungslos enteignet. Die anderen ostdeutschen Länder erließen kurz darauf ähnliche Verordnungen, ohne sich jedoch die Mühe zu machen, auch dort das Volk zu befragen. Am Ende gingen rund 10.000 Betriebe oder 60 Prozent der Industrieproduktion in Staatsbesitz über – die Basis der bald darauf eingeführten Planwirtschaft.
Ganz so schlimm wird es in Berlin nicht kommen – obwohl die Linke in ihrem Wahlprogramm noch weitere Verstaatlichungen fordert. Angesichts der Passivität von Opposition und Wohnungswirtschaft ist es aber nicht ausgeschlossen, dass die linken Aktivisten bis zum Stichtag am 25. Juni die benötigten knapp 175.000 Unterschriften zusammenbekommen. Bis Ende April hatten bereits 130.000 Menschen unterschrieben, von denen allerdings rund ein Viertel ungültig war. Da der anschließend geplante Volksentscheid zusammen mit den Bundestagswahlen stattfinden würde, könnte die Initiative auch hier das Quorum von 625.000 Ja-Stimmen schaffen.
Was dann folgt, weiß derzeit niemand. Um ihre Anhänger nicht zu enttäuschen, werden SPD, Grüne und Linke im neu gewählten Berliner Abgeordnetenhaus möglicherweise ein wie auch immer geartetes Enteignungsgesetz beschließen – auch wenn die Innenverwaltung der Auffassung ist, dass die Abstimmung im Erfolgsfall für den Senat unverbindlich sind. Die Initiative hat vorsorglich schon einmal einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Am Ende wird die Angelegenheit wohl erneut beim Bundesverfassungsgericht landen, das gerade erst den Berliner Mietendeckel gekippt hat. Auch das Landesverfassungsgericht dürfte angerufen werden, da die Berliner Verfassung sogenannte Vergesellschaftungen nicht erlaubt. Doch dann haben sich linke Aktivisten wie Michael Prütz vermutlich längst einer neuen Kampagne zugewandt.
Eine gekürzte Fassung des Textes erschien in: Die Welt vom 19. April 2021. Aktualisiert am 15. Mai 2021.
(1) Bundesarchiv, Bild 102-02427 / Unknown author / CC BY-SA 3.0 DE
(2) Bundesarchiv, Bild 102-00685 / Georg Pahl / CC BY-SA 3.0 DE
(3) Denis Apel, CC BY-SA 3.0