Keine Angst vor Sahra Wagenknecht

Von den Medien hofiert - Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht bei einer Rede im November 2023 (1)

In Brandenburg und Thüringen wird das Bündnis Sahra Wagenknecht in Zukunft mitregieren. Doch der Erfolg könnte sich bald als Pyrrhussieg herausstellen. Denn für Protestwähler ist die neue Partei nun immer weniger attraktiv. Auch innerhalb der Wagenknecht-Partei nehmen die Spannungen zu.

Von Hubertus Knabe

vgwort

Im Januar gegründet, im Dezember in der Regierung – noch nie ist einer Partei in der Bundesrepublik ein derart schneller Aufstieg gelungen wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Doch wird der Erfolg auch von Dauer sein? Es gibt Gründe, daran zu zweifeln.

Deutschlandweit bekannt wurde Wagenknecht nicht durch politische Erfolge, sondern durch die Medien, allen voran dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 2016 und 2017, als sie noch Ko-Vorsitzende der Linksfraktion war, saß sie so oft wie niemand anderes in einer der großen Polit-Talkshows. Auch nachdem sie im Januar die Mini-Partei BSW gründete, wurde sie allein bis Mitte Juli zehn Mal eingeladen.

Dass dies auf Dauer so bleiben wird, ist unwahrscheinlich. Schon während der Corona-Pandemie ging das Interesse an Wagenknecht massiv zurück. Gerät der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit, hat die ehemalige Linken-Politikerin den Medien wenig zu bieten. Denn sie ist weder Regierungsmitglied noch hat sie ein Konzept, wie die Krise behoben werden könnte. Schon jetzt ist die Berichterstattung über sie und ihre Partei spürbar kritischer geworden.

Dass Wagenknecht ein Regierungsamt übernimmt, ist auch nicht zu erwarten. Die Möglichkeit, in Thüringen oder Brandenburg Ministerin zu werden, hat sie nicht genutzt. Sie wäre wohl auch überfordert. Ein Minister muss Akten lesen, Mitarbeiter motivieren, Entscheidungen treffen. Zugleich muss er öffentlich und innerparteilich politische Überzeugungsarbeit leisten. An dieser Doppelbelastung ist schon der Linken-Politiker Gregor Gysi gescheitert. 2002 trat er nach fünf Monaten als Berliner Wirtschaftssenator zurück. Danach übernahm er nie wieder ein Ministeramt.

Nach fünf Monaten zurückgetreten – Linken-Politiker und Ex-Wirtschaftssenator Gregor Gysi 2019 (2)

Wagenknecht hat, obwohl bereits 55 Jahre alt, noch nie eine Behörde oder gar ein Ministerium geleitet. Selbst als Ko-Vorsitzende der Linksfraktion warf sie nach dreieinhalb Jahren das Handtuch. Wie sie später berichtete, war sie immer häufiger krank geworden und am Ende wegen Burn-outs zwei Monate ausgefallen. „Der Arzt hat unmissverständlich zu mir gesagt: ‚Sie können so nicht weitermachen!'“.

Schon die Pflichten einer Bundestagsabgeordneten überforderten Wagenknecht. In Ausschüssen und im Plenum war sie selten anzutreffen, auch bei Fraktionssitzungen und Klausurtagungen fehlte sie regelmäßig. In ihrem Wahlkreis Düsseldorf war sie so gut wie nie zu sehen. Obwohl im Bundestag Anwesenheitspflicht herrscht und für jedes unentschuldigte Fehlen 200 Euro einbehalten werden, versäumte Wagenknecht allein Ende 2022 sämtliche neun namentlichen Abstimmungen. Ihre Fraktionskollegin Kathrin Vogler hatte sie schon zuvor als „faulste Abgeordnete“ des Bundestages bezeichnet.

Protestaktion der Linksfraktion im Bundestag gegen den Militäreinsatz in Afghanistan
„Faulste Abgeordnete“ des Bundestages – Protest der Linken gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan 2010 (3)

Permanente politische Konflikte

Ob Wagenknecht zur Parteichefin taugt, ist ebenfalls fraglich. Parteivorsitzende müssen zuhören können, Netzwerke aufbauen und unterschiedliche Standpunkte zusammenbringen. Doch Wagenknechts Stärken sind Provokation und Selbstdarstellung, nicht Integration und Organisation. Die wichtigste Konstante in ihrer politischen Biografie sind heftige Konflikte und der Unwille zum Kompromiss.

Schon als Mitglied des Parteivorstands von PDS und Linkspartei lag sie regelmäßig überkreuz mit ihren Kollegen. 1995 musste sie sogar für fünf Jahre ausscheiden, weil Gysi sie für untragbar erklärt hatte. Als 2008 mehrere Abgeordnete verlangten, sie zur Vizechefin der Linken zu machen, verhinderte er das: „Sahra Wagenknecht vertritt eine Sicht, die ich nicht in Form einer Stellvertreterin in der Partei haben will.“ Als sie zwei Jahre später doch noch einen der vier Stellvertreterposten bekam, begann sie mit Katja Kipping, die 2012 Parteichefin wurde, einen jahrelangen Zickenkrieg.

Um Hilfstruppen für den parteiinternen Fraktionskampf zu organisieren, gründete Wagenknecht 2018 die außerparlamentarische Bewegung „Aufstehen“. Doch statt die Menschen wie in Frankreich in Massen auf die Straße zu bringen, endete ihr Projekt im Debakel. Schon nach wenigen Monaten zog sie sich daraus zurück. „Mir kam sie weitgehend überfordert vor,“ erinnerte sich einer ihrer ehemaligen Mitstreiter, „in diesem ganzen Irrsinn wirkte sie völlig verloren“.

„Sie wirkte völlig verloren“ – Protest von Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“ in Hannover 2019 (4)

In der Linksfraktion galt Wagenknecht als illoyal und egozentrisch. Dass die Linke einen so zerstrittenen Eindruck machte, war vor allem ihr anzulasten. Statt nach Verständigung zu suchen, führte sie einen gnadenlosen Kampf gegen die eigene Partei. Als sie kurz vor den Bundestagswahlen im September 2021 ein Buch gegen sogenannte Lifestyle-Linke veröffentlichte, beantragten mehrere Mitglieder sogar den Parteiausschluss der prominenten Genossin.

2022 löste Wagenknecht erneut einen Eklat aus. Als Geste der Versöhnung hatte die Fraktion sie dafür nominiert, in der Haushaltsdebatte zu sprechen. Dort erklärte sie, das größte Problem Deutschlands sei, dass die Bundesregierung einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“ vom Zaun gebrochen habe. Gemeint waren die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, das wenige Monate zuvor in die Ukraine einmarschiert war. Wagenknechts Verhältnis zu ihrer Partei war schließlich so zerrüttet, dass der Vorstand sie im Juni 2023 öffentlich aufforderte, ihr Bundestagsmandat niederzulegen.

„Beispielloser Wirtschaftskrieg“ gegen Russland – Bombardierte Schule im ukrainischen Tschernigow (5)

Zur Verständigung, das zeigte sich in diesen Konflikten, ist Wagenknecht nur bereit, wenn die Gegenseite sich ihr unterwirft. Das wiederum hängt mit einem weiteren Charakterzug zusammen: Ihrer Selbstherrlichkeit und ihrem Geltungsbedürfnis. Politik ist für sie vor allem Selbstdarstellung.

Auf die Frage, warum sie so selten im Bundestag sei, antwortete Wagenknecht 2023, dass sie „Medientermine, Sendungsaufzeichnungen oder öffentliche Veranstaltungen“ wahrnehmen musste. Allein auf ihrem privaten YouTube-Kanal veröffentlichte sie in den vergangenen fünf Jahren fast 300 Videos. Seit ihrem Einzug in den Bundestag schrieb sie zudem sechs Bücher, die sie intensiv vermarktete und die ihr ein gehöriges Zusatzeinkommen sichern. Dass ihre Partei ihren Namen trägt und ihr Gesicht auf allen Plakaten prangt, ist eine bislang einmalige Form des Personenkultes.

Charismatische Persönlichkeiten sind manchmal in der Lage, Parteien hinter sich zu vereinen. Wagenknecht ist jedoch nicht charismatisch, sondern wirkt kalt und kompromisslos. Dass dies zu Konflikten führt, konnte man zuletzt während der Thüringer Koalitionsverhandlungen beobachten. Kaum hatten CDU, SPD und BSW ein umfangreiches Sondierungspapier ausgehandelt, distanzierte sich Wagenknecht davon, weil eine Formulierung nicht so ausgefallen war, wie sie es sich vorstellte. Wie auf Kommando griffen zwei Funktionäre die Thüringer Spitzenkandidatin des BSW daraufhin persönlich an. Katja Wolf sei „auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht,“ schrieben sie. „Wer das nicht kapiert, wird vielleicht schnell Ministerin, ist aber in unserer Partei falsch.“

„In unserer Partei falsch“ – Die Thüringische Finanzministerin und Ex-Linken-Politikerin Katja Wolf (6)

Widersprüche einer Kaderpartei

Um solche Konflikte auszuschließen, hat Wagenknecht das BSW wie eine kommunistische Kaderpartei aufgebaut. Für jedes Bundesland hat das Präsidium Beauftragte eingesetzt, die die Landesverbände von oben nach unten gründen sollen. Über die Aufnahme neuer Mitglieder darf allein der Bundesvorstand entscheiden. Einen solchen Zentralismus gab es nicht einmal bei der SED.

Will jemand der Partei beitreten, muss er einen Antrag stellen. Laut Website kann die Prüfung „einige Zeit in Anspruch nehmen“. BSW-Mitglieder berichteten, dass dazu hinter verschlossenen Türen „Bewerbergespräche“ geführt würden. Nur wer sich zu Wagenknecht bekenne, werde aufgenommen. Potentiellen Interessenten empfiehlt die Partei denn auch, lieber „Förderer“ oder „Unterstützer“ zu werden, die keinerlei Mitspracherechte besitzen. Allein in Hamburg sollen etwa 900 Personen in diesem Status verharren.

Die Parteispitze nutzt ihr in der Satzung verankertes Vorrecht aber auch in umgekehrter Richtung. Als Wagenknecht das Sondierungspapier in Thüringen rügte, durften überraschend 25 Personen dem dortigen Landesverband betreten. Da dieser bis dahin nur gut 80 Mitglieder hatte, verschoben sich dadurch die politischen Gewichte erheblich zuungunsten der Landesvorsitzenden Katja Wolf. 15 Vorschläge aus Thüringen fanden dagegen zunächst keine Berücksichtigung. Hinzukommt: Der Bundesvorstand kann Mitglieder auch wieder ausschließen und ganze Landesverbände exkommunizieren, wenn diese „Beschlüsse übergeordneter Parteiorgane trotz wiederholter Aufforderung nicht durchführen“.

Nur wer sich zu Wagenknecht bekennt, wird aufgenommen – Übergabe eines SED-Mitgliedsbuches in Leipzig 1951 (7)

Dieser hierarchische Aufbau widerspricht vermutlich dem Parteiengesetz. Laut Artikel 10 sind „allgemeine, auch befristete Aufnahmesperren nicht zulässig“. Zwei BSW-Mitglieder aus Hamburg haben die Parteispitze und das parteieigene Schiedsgericht in den vergangenen Monaten wiederholt auf das Problem hingewiesen. Inzwischen kündigten sie an, Klage zu erheben. Zudem haben sie in Hamburg einen Bezirksverband gegründet, der von der Zentrale aber nicht anerkannt wird. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert. Sollte die Aufnahmepraxis rechtswidrig sein, könnten auch alle Parteibeschlüsse ungültig sein. Im Kreistag Vorpommern-Greifswald, in den das BSW im Juni mit 10,2 Prozent der Wählerstimmen einzog, haben drei der vier Abgeordneten bereits ihren Parteiaustritt erklärt. Sie warfen der Parteizentrale vor, wie eine „SED 2.0“ zu agieren.

Nach eigenen Angaben hat die Wagenknecht-Partei bislang nur rund 1200 Mitglieder aufgenommen. Das sind gerade einmal vier pro Bundestagswahlkreis. Damit sie bei den Bundestagswahlen im Februar, den Hamburger Bürgerschaftswahlen im März und möglicherweise auch den NRW-Kommunalwahlen im September erfolgreich ist, braucht sie jedoch deutlich mehr Kandidaten und noch viel mehr Wahlkämpfer. BSW-Generalsekretär Christian Leye kündigte deshalb kürzlich an, der Vorstand werde nächstes Jahr mehr Mitglieder aufnehmen. Damit dürften aber auch die internen Konflikte zunehmen, zu denen gerade linksradikale Gruppen neigen.

Eine zweite Linkspartei

Gegen einen langfristigen Erfolg des BSW spricht aber noch etwas anderes: Die neue Partei ist praktisch eine zweite Linkspartei. Gegründet wurde sie von Funktionären, die überwiegend deren linken Flügel angehörten. Wagenknechts Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali zum Beispiel war zuletzt Chefin der Linksfraktion. Noch im vergangenen Jahr reiste sie nach Kuba, um an den Feiern zum 70. Jahrestag der kommunistischen Erhebung teilzunehmen. Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete und langjährige Mitstreiterin Wagenknechts, ist Mitglied der linksextremistischen Roten Hilfe. BSW-Geschäftsführer Leye war bis 2021 Sprecher des als besonders links geltenden Linken-Verbandes in NRW und danach der NRW-Landesgruppe im Bundestag. Mit Tilo Kummer macht das BSW in Thüringen sogar zum ersten Mal in Deutschland einen früheren Stasi-Angehörigen zum Minister.

Von der linksradikalen Ausrichtung führender BSW-Politiker ist im vier Seiten schmalen Parteiprogramm allerdings nichts zu finden. Statt von „Sozialismus“ oder „Revolution“ ist dort von „unserer Industrie“, „unserem Mittelstand“ und „guter, ehrlicher Arbeit“ die Rede. Nur die Forderungen, mit denen Wagenknecht regelmäßig an die Öffentlichkeit geht, erinnern stark an die Linkspartei. Mal fordert sie einen „Benzinpreis-Deckel“, mal einen „Supermarktgipfel im Kanzleramt“, der die Geschäfte „zu deutlichen Preissenkungen auf Vorkriegsniveau“ auffordert, mal verlangt sie einen Mietendeckel. Ihre Vorschläge laufen stets darauf hinaus, dass der Staat die Wirtschaft umfassend lenken soll.

„Supermarkt-Gipfel im Kanzleramt“ – BSW-Gründerin Wagenknecht bei einer Wahlveranstaltung im August 2024 (8)

Wie die Linke will Wagenknecht auch die Sozialausgaben massiv erhöhen. Laut BSW-Programm braucht Deutschland „einen zuverlässigen Sozialstaat“, der „vor einem sozialen Absturz im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützt.“ Aktuell fordert sie „eine zusätzliche Rentenerhöhung um 120 Euro im Monat für alle als sofortigen Inflationsausgleich“. Zudem verlangt sie ein Weihnachtsgeld von 500 Euro für jeden Rentner, was allein rund zehn Milliarden Euro kosten würde. Wie dies angesichts des demografischen Wandels und leerer Rentenkassen finanziert werden sollen, sagt sie nicht.

Dass Wagenknechts Wünsch-Dir-was-Politik bei den Wählern verfängt, ist zweifelhaft. Schon die Linkspartei hatte mit ähnlichen Forderungen immer weniger Erfolg. Den meisten dürfte klar sein, dass man nur das verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat. Angesichts der globalen Konkurrenz und einer immer älter werdenden Gesellschaft wird dies jedoch zunehmend schwieriger. Vergebens sucht man im BSW-Programm nach Vorschlägen, wie die Bundesrepublik ihren Wohlstand auch in Zukunft bewahren kann. Die floskelhafte Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ propagieren zudem auch SPD, Grüne und Linke.

In Abgrenzung zu diesen Parteien hat Wagenknecht allerdings den Eindruck erweckt, sie wolle den unkontrollierten Zustrom von Migranten nach Deutschland stoppen. Viele Wähler meinten deshalb, das BSW sei eine Art AfD light. Bewusst ließ Wagenknecht offen, ob ihre Partei nun links oder rechts ist. Stattdessen machte sie „Vernunft“ und „Gerechtigkeit“ zu ihren Schlüsselbegriffen. Von einem Aufnahmestopp für Asylbewerber ist im Parteiprogramm freilich nirgendwo die Rede. Im Gegenteil: „Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wird, hat Anspruch auf Asyl,“ heißt es dort. Viele BSW-Funktionäre haben zudem selber einen Migrationshintergrund und setzten sich in der Vergangenheit für einen unbegrenzten Zuzug ein.

Parteichefin Mohamed Ali erklärte zum Beispiel noch Ende 2018, dass sie offene Grenzen befürworte und Abschiebungen ablehne. Vier Jahre später brachte sie einen Gesetzesentwurf in den Bundestag ein, demzufolge Ausländer, die zu ihren Ehegatten nach Deutschland ziehen wollen, keinen Sprachnachweis mehr erbringen müssen. Auch Geschäftsführer Leye trat dafür ein, dass die Kommunen mehr Flüchtlinge als vorgeschrieben aufnehmen sollten, selbst wenn diese illegal eingereist waren. Der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko machte mehrfach gegen einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen mobil. „Die Aufrüstung der Festung Europa lehnen wir ab,“ betonte er 2018.

Für offene Grenzen und gegen Abschiebungen – Die BSW-Vorsitzende und Ex-Linken-Politikerin Mohamed Ali 2022 (9)

Viele politische Irrtümer

Dass ideologische Voreingenommenheit den Blick für die Wirklichkeit trübt, kann man gerade am Beispiel Wagenknecht studieren. Wohl kaum ein Politiker in Deutschland hat sich so oft geirrt wie sie. Bekannt wurde vor allem ihre Äußerung vom 20. Februar 2022, als sie behauptete, Russland habe „faktisch kein Interesse daran“, in die Ukraine einzumarschieren, „natürlich nicht.“ Denn Putin sei kein „durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben.“ Vier Tage später rollten russische Panzer nach Kiew. Erst im Dezember 2024 gestand sie ein, sich „damals auch geirrt“ zu haben, machte nun aber den Bundesnachrichtendienst dafür verantwortlich.

In Wagenknechts politischen Werdegang finden sich noch sehr viel mehr politische Irrtümer. Im Frühjahr 1989 trat sie in die SED ein, obwohl deren Regime bereits kurz vor dem Untergang stand. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwärmte sie dann in einem Aufsatz über Josef Stalin: „Was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums.“

Auch SED-Chef Walter Ulbricht lobte Wagenknecht damals überschwänglich. Anders als Michail Gorbatschow hätte Ulbricht dafür gesorgt, dass die „Befreiung der Wirtschaft vom direkten Zugriff der zentralisierten Apparate“ und die „Befestigung der politisch führenden Rolle der Partei“ parallel erfolgt seien. Im Klartext: Ulbrichts halbherzige Wirtschaftsreformen gingen einher mit einer Verschärfung der Diktatur. Die DDR sei unter ihm auf dem besten Wege gewesen sei, sich zu einem blühenden und über seine Grenzen hinaus anziehenden Sozialismus zu entwickeln.

„Auf dem besten Wege zu einem blühenden Sozialismus“ – SED-Chef Walter Ulbricht (2.v.r.) 1961 (10)

1994 bezeichnete Wagenknecht die DDR in der Zeitschrift Konkret als „das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen im Gesamt ihrer Geschichte bisher geschaffen haben.“ SED-Chef Erich Honecker gebühre deshalb „unser bleibender Respekt“. Den Bau der Berliner Mauer verteidigte sie als eine Maßnahme zur Grenzbefestigung, „die dem lästigen Einwirken des feindlichen Nachbarn ein (längst überfälliges) Ende setzte.“ In einem Spiegel-Interview erklärte sie im selben Jahr, die Wende in der DDR sei „im Kern eine Gegenrevolution“ gewesen. Damals sei ein Land zugrunde gegangen, in dem der Ansatz gegeben gewesen sei, eine Gesellschaft ohne Profitprinzip aufzubauen, während heute wieder das Kapital herrsche. „Das ist für mich ein klarer Rückschritt.“

Wagenknecht war damals erst 25 Jahre alt. Doch auch mit über 30 hatte sich ihre Einstellung nicht geändert. Auf die Frage, ob die DDR demokratischer gewesen sei als die Bundesrepublik, sagte sie 2001: „Sie war jedenfalls nicht undemokratischer.“ Auch die Bundesrepublik sei „in ihrer Substanz nicht demokratisch.“ Und als die PDS im selben Jahr den Mauerbau erstmals als „Symbol des Demokratiedefizits in der DDR“ verurteilte, verweigerte sie als einziges Vorstandsmitglied ihre Zustimmung. 2008 – inzwischen war sie fast 40 – bekräftigte sie erneut, dass sie „den Begriff Diktatur für die DDR nicht für angemessen“ halte.

Wagenknechts politische Heimat war in dieser Zeit die Kommunistische Plattform (KPF), ein „offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke“. Bis 2010 fungierte Wagenknecht als Sprachrohr der vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Organisation. Die KPF weigerte sich zum Beispiel 2003, dem neuen PDS-Parteiprogramm zuzustimmen, weil es „das Ziel einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse aufgegeben“ hätte. Drei Jahre später unterzeichnete Wagenknecht einen Aufruf „Für eine antikapitalistische Linke“, in dem die in Gründung befindliche Linkspartei vor einer Anpassung an die SPD gewarnt wurde. „Eine solche Partei wollen wir nicht und brauchen wir nicht.“

„Offen tätiger Zusammenschluss von Kommunisten“ – Website der Kommunistischen Plattform in der Linken

2007 bekräftigte die KPF erneut, dass der Kapitalismus „überwunden“ werden müsse. „Wir treten für einen Systemwechsel ein,“ hieß es in einem Offenen Brief. In einer weiteren Erklärung stellte sich die Gruppe hinter ein Grußwort des früheren RAF-Terroristen Christian Klar. Dieser hatte behauptet, Europa würde jedes Land der Erde, das sich seiner „Zurichtung“ widersetze, „in einen Trümmerhaufen verwandeln“. Laut KPF entsprach dies „den grausamen Realitäten.“

Politisches Vorbild für Wagenknecht waren damals die Armutsdiktaturen in Kuba und Venezuela. 2004 gab sie über Venezuela sogar ein Buch heraus, in dem sie schrieb, das Land gehöre „zu jenen noch sehr wenigen Ländern, die der Weltherrschaft des neoliberalen Kapitalismus Grenzen setzen und die beweisen: Es gibt Alternativen.“ Die Revolution in Venezuela sei deshalb eine „Hoffnung für alle Menschen, die überzeugt sind, dass eine andere Welt möglich ist“.

Als Hugo Chávez, der Venezuela jahrelang autokratisch regiert hatte, 2013 starb, würdigte Wagenknecht ihn als „großen Präsidenten“, der „mit seinem ganzen Leben für den Kampf um Gerechtigkeit und Würde stand.“ Und als es im Jahr darauf zu gewaltsamen Protesten gegen die Regierung kam, forderte sie „Solidarität mit Venezuela“ und verurteilte „diesen gezielten Versuch der Destabilisierung des Landes“. Auf ihrer Website findet man bis heute einen von ihr mit initiierten Aufruf „Hände weg von Venezuela“, in dem behauptet wird, Chávez‘ Verfassung gehöre „zu den demokratischsten Verfassungen der Welt“.

Von Wagenknecht bewundert – Der venezolanische Präsident Hugo Chávez (r.) 2009 (11)

In ähnlicher Weise äußerte sich Wagenknecht auch zu Kuba. So erklärte die KPF 2007, die Solidarität mit Kuba sei für sie ebenso „unverbrüchlich“ wie die Sympathie für Länder wie Venezuela. Und als Diktator Fidel Castro 2016 starb, veröffentlichte Wagenknecht eine Erklärung, in der sie die „große Leistung dieses Revolutionärs“ und seine „standhafte Haltung gegenüber der mächtigen USA“ würdigte. Angeblich sei dieser „durch und durch ein Demokrat“ gewesen.

Keine kritische Selbstreflektion

In letzter Zeit ist Wagenknecht auffällig darum bemüht, ihre linksradikalen Wurzeln zu verdecken. Als sie kürzlich in der Sendung von Caren Miosga auf ihre Tätigkeit für die „Kommunistische Plattform“ angesprochen wurde, antwortete sie gereizt: „Ich finde es wirklich bemerkenswert wie, seit wir das BSW gegründet haben, plötzlich meine frühkindlichen, also 20-jährigen Äußerungen mit einem Enthusiasmus zelebriert werden.“ Es ärgere sie, „dass plötzlich uralte Äußerungen von mir, wo ich 20 war, so vorgekramt werden, als hätte ich das gestern gesagt.“ Ähnlich reagierte sie wenig später im TV-Duell mit Alice Weidel. Ihre Begeisterung für Venezuela sei 20 Jahre her, weshalb man ihr dies heute nicht mehr vorwerfen könne. „Da habe ich Dinge aus Trotz gesagt.“

Von „frühkindlichen“ Äußerungen kann allerdings keine Rede sein. Als Wagenknecht ihre weltfremden Erklärungen formulierte, war sie eine gestandene Frau zwischen 30 und 45 Jahren. In beiden Sendungen setzte sie sich zudem in keiner Weise kritisch damit auseinander. Statt dessen trat sie im für sie üblichen rechthaberischen Duktus auf, der an das Auftreten von SED-Funktionären in der DDR erinnert.

Eine gestandene Frau zwischen 30 und 45 – Sahra Wagenknecht bei einer Wahlkampfveranstaltung 2013 (12)

Durch die Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen bekommt die Wagenknecht-Partei nun noch ein anderes Problem. Für Wähler, die „denen da oben“ einen Denkzettel verpassen wollen, ist sie nur noch begrenzt attraktiv. Viele Protestwähler haben ihr insbesondere verübelt, wie das BSW in Thüringen mit verhindert hat, dass die AfD als stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellt. Weitere Ernüchterungen werden folgen. In Brandenburg zum Beispiel ist die BSW-Ministerin in Zukunft auch für die Förderung der Integration von Migranten verantwortlich. Der Erfolg bei den Landtagswahlen im Osten könnte sich deshalb als Pyrrhussieg herausstellen.

Dass Regierungsbeteiligungen Protestwähler vergraulen, hat schon die Linkspartei schmerzlich erfahren müssen. Dem Meinungsforschungsinstitut Forsa zufolge ist dieser Effekt inzwischen auch beim BSW eingetreten: Während die Wagenknecht-Partei im Juli bundesweit noch bei acht Prozent lag, kommt sie seit Mitte November nur noch auf halb so viel Zustimmung. Möglicherweise scheitern bei den Bundestagswahlen am 23. Februar beide Linksparteien an der Fünf-Prozent-Hürde, weil sie sich gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dann würde Sahra Wagenknecht endgültig als diejenige in die Geschichte eingehen, die die Linke zu Grabe getragen hat.

Bildnachweis:
(1) Ferran Cornellà / CC BY-SA 4.0
(2) Ferran Cornellà / CC BY-SA 4.0
(3) Hier ist DIE LINKE / CC BY 2.0
(4) C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org (Ausschnitt)
(5) Mvs.gov.ua / CC BY 4.0
(6) Kasa Fue / CC BY-SA 4.0
(7) Deutsche Fotothek / CC BY-SA 3.0 DE
(8) Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0
(9) Die Linke / CC BY 2.0
(10) Bundesarchiv, Bild 183-83911-0002 / CC-BY-SA 3.0

(11) Miguel Arturo González Márquez / CC BY-SA 2.0
(12) Wolkenkratzer / CC BY-SA 3.0

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