Zum dritten Mal haben Klimaaktivisten zu einem weltweiten Klimastreik aufgerufen. Viele Anhänger der Bewegung Fridays for Future machen den Kapitalismus für die Erderwärmung verantwortlich – zu Unrecht, wie die Geschichte zeigt.
Von Hubertus Knabe
Stolz haben sich die jungen Leute vor dem Berliner Reichstag postiert, vor sich ein mannshohes Transparent, auf dem in riesigen Lettern steht: „CAPITALISM KILLS“. Sie protestieren gegen die ihrer Ansicht nach mangelhaften Bemühungen der deutschen Regierung, den Ausstoß von Kohlendioxid zu senken. Auch viele andere Aktivisten der Fridays for Future-Bewegung sind der Meinung, dass der Kapitalismus Schuld an den CO2-Emissionen trage, die für eine schleichende Erderwärmung verantwortlich gemacht werden. Das „deutsche Gesicht“ der Bewegung, Luisa Neubauer, erklärte zum Beispiel, es sei „eine zentrale Frage, ob der Kapitalismus, den wir gerade erleben, und Klimaschutz vereinbar“ seien. Und in Köln demonstrierten Klimaaktivisten unter dem Slogan „Burn Capitalism – Not Coal“.
Die jüngere deutsche Geschichte legt indes eine andere Schlussfolgerung nahe. Einer der größten Klimakiller der Welt war nämlich ein Land, das den Kapitalismus abgeschafft hatte – die DDR. Mit bis zu 21 Tonnen jährlich lag sie beim Pro-Kopf-Ausstoß des Treibhausgases Ende der 1980er Jahre noch vor den USA. Als schließlich die Marktwirtschaft Einzug hielt, gingen die CO2-Emissionen rapide zurück: von 333 Millionen Tonnen im Jahr 1989 auf 164 Millionen Tonnen im Jahr 1995. Auch in anderen Staaten des früheren Ostblocks verringerte sich der Ausstoß signifikant, als diese kapitalistisch wurden.
Während Kohlendioxid für Menschen normalerweise ungefährlich ist, litt die Bevölkerung in der DDR noch unter ganz anderen Umweltgiften. Das Land stieß zuletzt über fünfmal so viel Schwefeldioxid aus wie die Bundesrepublik. Zu den Folgen zählte ein großflächiges Waldsterben in den Mittelgebirgen. Auch bei den Schwebstaubemissionen übertraf die DDR die Bundesrepublik um knapp das Fünffache. Da sich die Industrie vor allem im Süden konzentrierte, litt hier fast jedes zweite Kind an Atemwegserkrankungen und beinahe jedes dritte an Ekzemen. Nach dem Untergang der Planwirtschaft sanken SO2– und Staubemissionen schlagartig ab.
Dasselbe Bild ergibt sich bei der Belastung der Gewässer. Fast die Hälfte aller größeren Flüsse in der DDR war 1989 biologisch tot. 70 Prozent durften nicht mehr für die Trinkwassergewinnung genutzt werden. Knapp die Hälfte der DDR-Bewohner erhielt beim Aufdrehen des Wasserhahns zeitweise oder ständig kein sauberes Trinkwasser. Verantwortlich dafür war der hohe Eintrag von Stickstoff, Phosphor, Schwermetallen und anderen Schadstoffen in die Gewässer – der nach dem Beitritt zur Bundesrepublik massiv zurückging.
Wie viele Klimaaktivisten heute vertrat die DDR-Führung die Auffassung, dass nur die Abschaffung des Kapitalismus die Umweltprobleme lösen könne. Verantwortlich für den rücksichtslosen Umgang mit der Natur sei die Profitgier der Konzerne, an deren Stelle gesamtgesellschaftliche Vernunft und Planung treten müsse. Dies sei nur im Sozialismus möglich.
Dass es in Wirklichkeit genau umgekehrt war, ist vielen jungen Leuten nicht bekannt. Im Schulunterricht spielt die DDR so gut wie keine Rolle. Dabei bietet sie einige Lehren, die auch heute noch relevant sind. So führte die Abschaffung des Profitstrebens zu wachsender Innovationsträgheit und geringer Produktivität. An die Stelle erfinderischer Unternehmer trat eine gigantische Planbürokratie. Die Folge war nicht nur, dass die meisten DDR-Produkte international nicht wettbewerbsfähig waren. Auch ihre Industrieanlagen oder Verkehrsmittel waren stark veraltet – und entsprechend umweltschädlich.
Aufgrund der wirtschaftlichen Ineffizienz herrschte in der DDR zudem ein eklatanter Mangel an menschlichen und materiellen Ressourcen. Für Investitionen in moderne Umwelttechnologien war deshalb kein Spielraum. Kein einziges Großkraftwerk war zum Beispiel mit Entschwefelungsanlagen ausgestattet und fast ein Viertel der industriellen Abwässer wurde ohne jede Klärung in die Gewässer eingeleitet. Von den Haushaltsabwässern wurde sogar nur rund die Hälfte gereinigt. Die dringend benötigten Umweltanlagen konnte die DDR auch nicht im Ausland kaufen, da sie auf dem Weltmarkt kaum Devisen erwirtschaftete. Ihre Devisenknappheit war zugleich der Grund, warum sie rund 70 Prozent ihres Primärenergieverbrauchs aus extrem umweltschädlicher Braunkohle deckte.
Das Beispiel der DDR zeigt aber noch etwas andere: Wer die wirtschaftliche Freiheit abschaffen will, muss auch die politische Freiheit einschränken. Denn wenn der Staat den Menschen vorschreiben will, was sie zu tun oder zu lassen haben, muss er entsprechende Zwangsmittel einsetzen. Um das private Gewinnstreben auszuschalten, muss er den Menschen ihr Eigentum nehmen, ihre Aktivitäten überwachen und sie bei Verstößen bestrafen. Formiert sich Widerstand, muss er die Repression verschärfen – der typische Weg in die totalitäre Diktatur.
Auf dem Gebiet des Umweltschutzes bedeutete dies in der DDR, dass Umweltdaten einer extremen Geheimhaltung unterlagen. Bereits die Erhebung von Messwerten war genehmigungspflichtig. Unabhängige Umweltinstitute oder Umweltorganisationen, wie sie im Kapitalismus selbstverständlich sind, waren im Sozialismus undenkbar. Nur unter dem Dach der Kirchen konnten sich einige kleine Umweltgruppen versammeln, die vom Ministerium für Staatssicherheit massiv unterwandert und verfolgt wurden. Eine regierungskritische Bewegung wie Fridays for Future wäre in der DDR schon im Keim erstickt worden.
Leseempfehlung: Eberhardt Kuhrt (Hg.), Die wirtschaftliche und ökologische Situation in der DDR in den achtziger Jahren. Der Beitrag erschien zuerst in: Neue Züricher Zeitung vom 19. September 2019
(1) Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / “Leuna, Leuna-Werke — 1980 — 21” / CC BY-SA 4.0)
(2) C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org
(3) Bundesarchiv, Bild 183-N1212-0005 / Müller / CC-BY-SA 3.0
(4) Bundesarchiv, Bild 183-W1118-013 / Lehmann, Thomas / CC-BY-SA 3.0
(5) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Luisa_Neubauer_05.jpg (Ausschnitt)
(6) Bundesarchiv, Bild 183-K0826-0302 / Sturm, Horst / CC-BY-SA 3.0