Würdigung eines Massenmörders

Sympathien für einen Diktator - Denkmal des russischen Kommunistenführers Wladimir Iljitsch Lenin in St. Petersburg

Die Linke gilt in Deutschland vielfach als demokratische Partei. Dabei stößt man in ihren Reihen auf viel undemokratisches Gedankengut. Nachdem auf einer „Strategiekonferenz“ davon die Rede war, „das eine Prozent der Reichen“ zu erschießen, hat kürzlich ein Kreisverband nachgelegt. In einem Tweet pries er einen Massenmörder als Kämpfer für die Demokratie. Der Fall macht deutlich, dass viele Mitglieder der Partei bis heute mit menschenverachtenden Diktaturen sympathisieren.

Von Hubertus Knabe

vgwort

Den deutschen Medien war es nicht einmal eine Meldung wert: Am 22. April erwies die Linkspartei einem Massenmörder ihre Reverenz. Ihr Essener Kreisverband verlautbarte auf Twitter: “Heute wäre Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin, 150 Jahre alt geworden. In Zeiten wo @hreul das Versammlungsrecht in Frage stellt zeigt sich: der Kampf für Demokratie von Unten ist lange nicht zu Ende!“ Darunter war der Mann abgebildet, der die russischen Kommunisten 1917 an die Macht geputscht und seine Gegner danach mit Konzentrationslagern und Erschießungen bezwungen hatte. Auf dem Bild prangte ein Zitat Lenins, dass es im Kapitalismus Demokratie nur „für die Reichen“ gäbe.

„Kampf für Demokratie von unten“ – Tweet der Essener Linkspartei zu Lenins 150. Geburtstag

In Wirklichkeit war es Lenin, der in Russland die zaghaften Ansätze der Demokratie nach dem Sturz des Zaren gewaltsam beendet hatte. Nachdem seine Partei bei den Wahlen am 25. November 1917 weniger als ein Viertel der Stimmen gewonnen hatte, ordnete der Führer der Bolschewiki an, die Führer der liberalen Kadettenpartei zu verhaften und vor Revolutionstribunale zu stellen. Und als es das frei gewählte Parlament im Januar 1918 ablehnte, sich Lenins Putschistenregierung zu unterwerfen, erklärte er es nach der ersten Sitzung für aufgelöst.

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Am 5. September 1918 erließ der von Lenin angeführte Rat der Volkskommissare dann ein Dekret „Über den Roten Terror“. Darin wurde es für notwendig erklärt, „die Sowjetrepublik von den Klassenfeinden zu befreien, weshalb diese in Konzentrationslagern zu isolieren sind.“ Alle Personen, die zu gegnerischen Organisationen oder Verschwörungen in Beziehung stünden, sollten erschossen werden. Zuvor hatte Lenin seine lokalen Parteiführer bereits per Telegramm aufgefordert, den „Massenterror sofort einzuführen“, die „Schwankenden zu erschießen“ und „zwielichtige Elemente“ in Konzentrationslager zu sperren. Zwischen 250.000 und eine Million Menschen kamen damals ums Leben – vor allem Unternehmer, Landbesitzer, Geistliche, Offiziere und Mitglieder der Kadettenpartei. Auch Arbeiter und Soldaten zählten zu Lenins Opfern – etwa bei der Niederschlagung eines Streiks in den Petrograder Putilow-Werken oder eines Matrosenaufstandes auf der Insel Kronstadt.

Dekret „Über den Roten Terror“ – Bewaffnete Rote Garden vor Lenins Regierungssitz in St. Petersburg 1917

Dass ein Kreisverband der Linken dem nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul („@hreul“) nun ausgerechnet Lenin als Vorbild entgegenhält, könnte man vielleicht tatsächlich getrost ignorieren. Doch das Statement reiht sich in eine ganze Liste von Äußerungen ein, in denen die Linke – entgegen ihren formelhaften Bekenntnissen zur Demokratie – offen mit Diktaturen sympathisiert. Da ist die ungebrochene Verklärung von Karl Marx, der Gregor Gysi zufolge „eine der größten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte“ ist. Da sind die Ehrerbietungen gegenüber Fidel Castro, dem Fraktionschef Dietmar Bartsch in einer Erklärung bescheinigte, „durch und durch ein Demokrat“ gewesen zu sein. Und da war die Strategiekonferenz Anfang März, auf der es hieß, dass nach einer Revolution das „eine Prozent der Reichen“ erschossen werden würde – worauf Parteichef Riexinger erwiderte: „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“

„Durch und durch ein Demokrat“ – Bericht der Bild-Zeitung über Glückwünsche der Linkspartei an Fidel Castro 2011

Die Beispiele machen deutlich, dass in der Linken mehr extremistisches Gedankengut grassiert, als vielen bewusst ist. Nicht ohne Grund widmete der Verfassungsschutz der Partei in seinem letzten Bericht neun Seiten. Zwar verzichteten führende Parteivertreter in Zeiten von COVID-19 darauf, Lenins 150. Geburtstag prominent zu würdigen. Umso unbefangener geschah dies jedoch 2017, als die Partei den 100. Jahrestag der sogenannten Oktoberrevolution feierte. Ihre Historische Kommission erklärte damals, dass sich die Machtergreifung der Bolschewiki „nicht auf Ideologie, Terror und diktatorische Parteiherrschaft verengen“ ließe. Die Linke könnte vielmehr „positiv an die Tradition radikaler und aktiver Kriegsgegnerschaft, den entschlossenen und organisierten Kampf gegen kapitalistische Verhältnisse und den mit ihm verbundenen Fortschritten bei der Gleichstellung der Geschlechter“ und an „weiteren großen kulturellen Leistungen“ anknüpfen.

„Entschlossener Kampf gegen kapitalistische Verhältnisse“ – Kommunistenführer Lenin und sein Nachfolger Stalin

Auch im Dezember 2019, als die Linke die Erneuerung der SED vor 30 Jahren feierte, war von einer Verurteilung Lenins – der wie kein anderer zu deren ideologischem Fundament gehört hatte – nichts zu hören. Stattdessen veröffentlichte die Partei auf ihrer Website eine gern zitierte Rede des Marxismus-Leninismus-Professors Michael Schumann vom Dezember 1989, in der dieser verkündet hatte: „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“. Über Lenin findet sich darin kein einziges kritisches Wort, wohl aber die groteske Behauptung, der Kommunistenführer hätte „immer wieder die Methode der Überzeugung als die Hauptmethode der politischen Arbeit“ herausgestellt. Damals, im Dezember 1989, fasste die Partei sogar einen Beschluss, in dem Marx und Lenin als ihr „historisches Vorbild“ bezeichnet wurden. Und im neuen Parteistatut hieß es, dass ihre Hauptwurzeln in internationalen linken Traditionen lägen, „besonders denen Lenins“.

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30 Jahre später ist Lenin in der Linkspartei immer noch populär. So erschien im Verlag der linksradikalen Zeitung Junge Welt zum 150. Geburtstag des Diktators eine Neuausgabe seiner Schrift „Staat und Revolution“ – aus der auch das Zitat der Essener Linken stammte. Herausgeber ist der gesundheitspolitische Sprecher der Linken im Leipziger Stadtrat, Volker Külow. In der DDR hatte er Marxismus-Leninismus studiert und unter den Decknamen „Bernau“ und „Ostap“ für die Stasi gespitzelt. An Lenins Geburtstag lud die Partei dann zu einer Veranstaltung ein, allerdings nur per Livestream, weil öffentliche Versammlungen wegen der Corona-Pandemie untersagt waren. Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Michael Brie, stellte dabei sein Buch „Lenin neu entdecken“ vor – das er zum 100. Jahrestag der bolschewistischen Machtergreifung veröffentlicht hatte.  

In der Berichterstattung über die Linke spielt all dies keine Rolle. Bei der Regierungsbildung in Thüringen schien es sogar so, dass es vielen Journalisten gar nicht schnell genug gehen konnte, bis die Partei dort wieder den Ministerpräsidenten stellt. Sie sollten wissen, dass Lenin auch mit ihnen kurzen Prozess gemacht hätte.

Eine Kurzfassung des Textes erschien zuerst in: Die Tagespost vom 30. April 2020.

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Hinweis: In einer früheren Version des Textes hatte es geheißen, auf einer Strategiekonferenz der Linken sei gesagt worden, „ein Prozent der Reichen“ würde erschossen werden. Tatsächlich hatte eine Diskussionsteilnehmerin erklärt: „Nach einer Revolution, wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen.” Sie meinte also, dass alle „Reichen“ erschossen würden.

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