Ende Oktober soll die Linkspartei eine neue Führung bekommen. Einzige Kandidaten bislang: eine Frau ohne Manieren und eine bekennende Linksextremistin. Konflikte um die politische Ausrichtung der Partei sind vorprogrammiert. Ob die beiden erfolgreicher als ihre Vorgänger sein werden, darf deshalb bezweifelt werden.
Von Hubertus Knabe
Eines muss man der scheidenden Linken-Vorsitzenden Katja Kipping lassen: Sie klebt nicht an ihrem Amt wie so viele andere Politiker. Ende August teilte die 42-jährige mit, dass sie nicht noch einmal für den Parteivorsitz kandidieren wolle. Sie trägt damit allerdings nur der Parteisatzung Rechnung, der zufolge kein Amt „länger als acht Jahre durch dasselbe Parteimitglied ausgeübt werden“ soll.
Wenn die Linkspartei am 30. Oktober in Erfurt zu ihrem verschobenen Parteitag zusammenkommt, müssen die Delegierten also nun darüber entscheiden, wer Nachfolger von Katja Kipping werden soll – und von Bernd Riexinger, der ebenfalls seit acht Jahren an der Spitze der Partei steht und nicht mehr kandidiert.
Erfolgloses Spitzenduo
Besonders erfolgreich waren die beiden nicht. Hatte die Partei nach der geglückten Westausdehnung bei den Bundestagswahlen 2009 noch 11,9 Prozent der Stimmen erhalten, schrumpfte sie unter Kipping und Riexinger auf unter zehn Prozent. Bei den letzten Bundestagswahlen verlor die Linke dann auch noch die Rolle des Oppositionsführers an die AfD – und das nicht nur im Parlament, sondern auch zunehmend in der öffentlichen Wahrnehmung. Während sie 2017 immerhin noch 9,2 Prozent erreichte, kommt sie bei den meisten Umfrageinstituten derzeit nur noch auf sieben oder acht Prozent.
Noch sichtbarer schlug sich der Bedeutungsverlust der Linken bei den Landtagswahlen in ihrer einstigen Hochburg Ostdeutschland nieder. In Brandenburg sank sie innerhalb von zehn Jahren von 27,2 auf 10,7 Prozent, in Sachsen von 20,6 auf 10,4 Prozent. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern steht sie mit 16,3 beziehungsweise 13,2 nur geringfügig besser da. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen flog die Linke sogar ganz aus den Landtagen – und das trotz eines deutlich wohlwollender gewordenen Medienumfeldes.
Nur im kleinen Thüringen erreichte die Partei 2019 mit 31 Prozent ein Rekordergebnis. Das war allerdings nicht das Verdienst der beiden Linken-Vorsitzenden, sondern vor allem des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow – und des christdemokratischen Oppositionsführers Mike Mohring, der mit seinem politischen Schlingerkurs viele Wähler vor den Kopf gestoßen hatte.
Erfolglos waren Kipping und Riexinger aber auch noch in anderer Beziehung. Auf dem von offenem Hass gekennzeichneten Göttinger Parteitag waren sie 2012 mit dem Ziel angetreten, die verfeindeten Lager in der Partei wieder zusammenzuführen. Doch dann lieferte sich die Vorsitzende selber regelmäßige Gefechte mit Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die zuweilen Züge eines Zickenkrieges trugen. Als Wagenknecht schließlich, genervt und gesundheitlich angeschlagen, im November 2019 auf ihr Amt verzichtete, gelang es Kipping und Riexinger auch nicht, die von ihnen ausgesuchte Nachfolgerin ins Amt zu hieven. Stattdessen wurde eine völlig unbekannte Abgeordnete zur Chefin der Linksfraktion gewählt – Amira Mohamed Ali, von der die meisten Deutschen vermutlich bis heute noch nichts gehört haben.
Komplizierte Nachfolge
Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs ausgemacht, dass die Wahl der neuen Parteispitze so ausgeht, wie Kipping und Riexinger es sich wünschen. Hinter den Kulissen hatten beide intensiv nach Nachfolgern gesucht. Bei der Linkpartei ist das besonders schwierig, weil nicht nur zwei Personen gefunden werden müssen, von denen mindestens eine weiblich sein soll. Vielmehr sollen die beiden Vorsitzenden auch noch Ost und West sowie Reformer und Radikale repräsentieren – und dann auch noch harmonisch miteinander zusammenarbeiten können. In einer zerstrittenen Partei wie der Linken ähnelt das der Quadratur eines Kreises.
Lesen Sie auch: Die Fortsetzungspartei. Wie aus der SED die Linke wurde
Anfang September schien es dann aber so weit. Im Abstand von weniger als sechs Stunden hatte zuerst die Fraktionschefin der Linken in Hessen, Janine Wissler, und anschließend ihr Gegenstück in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, angekündigt, für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Viele Medien präsentieren sie seitdem als künftige Parteiführer der Linken.
Ob sie dies tatsächlich werden, bleibt abzuwarten. Denn beide verkündeten ihre Kandidatur nicht gemeinsam, sondern unabhängig voneinander. Von Wissler, die als erste ihren Hut in den Ring geworfen hatte, heißt es, dass sie die Partei eigentlich mit dem Bundestagsabgeordneten Jan Korte führen wollte. Nur Hennig-Wellsow versicherte, dass sie gerne mit Wissler eine weibliche Doppelspitze bilden wolle. Doch auch Hennig-Wellsows Kandidatur war nicht mit den ostdeutschen Landesverbänden abgestimmt, die sie eigentlich vertreten soll. Erst auf dem Parteitag der Thüringischen Linken am 19. September in Sömmerda traten beide erstmals gemeinsam auf.
Ob die beiden Frauen die Partei erfolgreicher führen werden als ihre Vorgänger, ist fraglich. Denn beide bringen Eigenschaften mit, die dabei im Wege stehen. Ein Parteichef muss nach innen integrierend und nach außen überzeugend wirken. Doch die eine Kandidatin hat keine Manieren und die andere ist bekennende Linksextremistin.
Die Blumenstraußwerferin
Dass die thüringische Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow Defizite beim Umgang mit ihren Mitmenschen hat, brachte sie sogar bundesweit in die Schlagzeilen. Sie war es nämlich, die dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich nach seiner Wahl zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten von Thüringen den eigentlich für dessen Gegenkandidaten Bodo Ramelow gedachten Blumenstrauß vor die Füße warf. Ganz Deutschland konnte damals sehen, dass die Linken-Politikerin mit Niederlagen offenbar nicht umgehen kann. Auch später entschuldigte sie sich nicht für ihr Verhalten, sondern rühmt sich sogar bis heute dafür auf ihrer Website.
Hennig-Wellsow, die im Oktober 43 Jahre alt wird, stammt aus einem DDR-treuen Elternhaus. Ihr Vater stieg vom Lkw-Fahrer zum Kriminalisten der Volkspolizei auf. Sie selbst sitzt schon seit 16 Jahren im Thüringer Landtag. Seit 2013 ist sie Landesvorsitzende, seit 2014 zusätzlich Fraktionsvorsitzende – eine Doppelfunktion, die bei der Linken normalerweise verpönt ist.
2006 gehörte sie noch mit Sahra Wagenknecht zu den Erstunterzeichnern des Aufrufes „Für eine antikapitalistische Linke“, in dem die Mobilisierung der Straße als zentrale Aufgabe bei der Überwindung des Kapitalismus propagiert wird. Inzwischen ist die ehemalige Eisschnellläuferin, die im Habitus an die erfolglose Ex-Parteivorsitzende Gabi Zimmer erinnert, vor allem damit beschäftigt, dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow den Rücken fürs Regieren freizuhalten.
Dieser beeilte sich denn auch, Hennig-Wellsow nach Verkündung ihrer Kandidatur in den höchsten Tönen zu loben. Sie sei „eine kraftvolle Frau aus Thüringen, die es geschafft hat, eine Einmaligkeit zu begleiten – nämlich eine rot-rot-grüne Landesregierung unter linker Führung.“ Dass sie – anders als Kipping und Riexinger – nicht im Bundestag sitzt und in Erfurt von den bundespolitischen Debatten ziemlich abgeschnitten ist, wischte er mit dem Hinweis vom Tisch, es sei ihm lieber, „dass wir kraftvoll aus der Mitte Deutschlands kommen als einfach nur aus dem Raumschiff Bundestag.”
Was Ramelow als „kraftvoll“ bezeichnete, nannte die linksradikale Zeitung Junge Welt schlicht „autoritär“. Hennig-Wellsow lege „keinen übermäßigen Wert auf Diskussionen“ und die strömungsübergreifende Integration der Parteiflügel sei „bislang eher nicht ihre Priorität“ gewesen. Bereits im vergangenen Jahr hatte eine ehemalige Fraktionskollegin den Vorwurf erhoben, dass unter ihr der linke Flügel in Thüringen „systematisch marginalisiert“ werde. Trotz des fulminanten Wahlsieges im Oktober 2019 konnte Hennig-Wellsow bei ihrer Wiederwahl als Landesvorsitzende im Dezember deshalb nur 72,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Auch interessant: Wahlsieg der alten Kader. Wie in Thüringen ehemalige DDR-Funktionäre wieder Politik machen
Probleme hat Hennig-Wellsow offenbar nicht nur mit Andersdenkenden in der eigenen Partei, sondern auch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung. Als der Thüringische Verfassungsgerichtshof im Juli einer Klage der AfD gegen das im Vorjahr verabschiedete Paritégesetz Recht gab, empörte sich die Landeschefin der Linken: „Dieses Urteil ist eine Niederlage für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Politik und Parlamenten.“ Ihre Partei bleibe dabei, dass Frauen in politischen Entscheidungsbereichen gleichberechtigt vertreten sein müssten – obwohl die Einschränkung des allgemeinen Wahlrechtes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, wie der Wissenschaftliche Dienst des Thüringer Landtages schon vor der Verabschiedung des Gesetzes festgestellt hatte.
Verfassungsfeindliche Trotzkistin
Die andere Kandidatin für den Parteivorsitz, die hessische Fraktionschefin Janine Wissler, macht aus ihrer Ablehnung des Grundgesetzes erst gar keinen Hehl. In ihrem Auftreten wirkt sie zwar deutlich angenehmer als Hennig-Wellsow. Dafür dürften ihre politischen Positionen in Deutschland auf noch weniger Zustimmung stoßen. Wissler ist nämlich bekennende Trotzkistin, die der WASG und später der Linken nur deshalb beigetreten ist, um von dort aus die Revolution voranzutreiben.
Die 39-jährige Politikwissenschaftlerin gehört seit 2008 dem Hessischen Landtag an. Seit 2017 ist sie Vorsitzende der Linken-Fraktion und will dies zumindest bis zur Bundestagswahl 2021 auch bleiben. Vom Berliner Politikbetrieb ist sie ähnlich weit entfernt wie Hennig-Wellsow.
In die Politik kam Wissler über die trotzkistische Organisation „Linksruck“, die 2007 in der Linkspartei aufging. Sie und ihre Mitstreiter gründeten damals die innerparteiliche Gruppierung „marx21“, in deren politischen Leitsätzen es heißt: „Die Linke kann das Kapital schlagen, wenn Massenbewegungen bereit und in der Lage sind, die herrschende Klasse zu enteignen und den bestehenden, undemokratischen Staatsapparat durch Organe der direkten Demokratie zu ersetzen.“ Die Gruppe wird deshalb – ebenso wie die Antikapitalistische Linke – vom Bundesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft.
Dass Wissler politisches Talent hat, hatte schon ihr erster Förderer Oskar Lafontaine entdeckt. Im Landtag von Hessen profilierte sie sich als begabte Rednerin, mit deren linksradikalen Ideen allerdings nur wenige etwas anfangen konnten. Als ein Spiegel-Journalist einmal einwandte, dass von der hessischen Linken doch nicht ernsthaft eine Revolution zu erwarten sei, entgegnete sie fast drohend: „Das wollen wir erst mal sehen.“
Auch bei einem Kongress von „marx21“ erklärte Wissler 2011, dass die kommunistische Idee immer noch hochaktuell sei. Die klassenlose Gesellschaft lasse sich dabei „nicht einführen über Parlamente oder Regierungen“, sondern geschichtlicher Fortschritt sei stets durch „Revolutionen“ erkämpft worden. „Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir die Gesellschaft aus den Angeln heben können über Anträge und Reden im Parlament,“ so Wissler auf der Konferenz, die den bezeichnenden Titel trug „Marx ist Muss“.
An dieser an die KPD der Weimarer Republik erinnernden Auffassung hält Wissler bis heute fest. So zählte sie im Dezember 2019 zu den Initiatoren einer neuen Gruppierung namens „Bewegungslinke“, die eine „im Alltag verankerte Gegenmacht von unten und eine linke Hegemonie aufbauen“ will. Ziel des Zusammenschlusses von Sympathisanten und Mitgliedern der Linkspartei ist „eine sozialistische Demokratie, in der nicht nur ein Parlament, sondern die Menschen durch Rätestrukturen bei allen Belangen mitentscheiden.“
Um ihre Chancen auf den Parteivorsitz zu erhöhen, hat Wissler inzwischen erklärt, ihre Mitgliedschaft in den linksextremistischen Strömungen „Marx 21“, Sozialistische Linke und Bewegungslinke zu beenden. Ihre Einstellung zur parlamentarischen Demokratie hat sich dadurch allerdings nicht geändert, denn sie betonte zugleich, dass sie sich von den Positionen dieser Gruppen keineswegs distanziere. In Sömmerda forderte sie nicht nur die Enteignung von Immobilienkonzernen, sondern bekräftigte auch ihr politisches Credo: „Wir sind eine antikapitalistische Partei, wir wollen eine grundsätzlich andere Gesellschaft.“
Vorprogrammierte Konflikte
Dass die beiden Kandidatinnen höchst unterschiedliche Politikvorstellungen vertreten, zeigte sich auch auf der sogenannten Strategiekonferenz der Linken im März dieses Jahres. Als Hennig-Wellsow dort für Regierungsbeteiligungen wie in Thüringen warb, meldet sich Wissler zu Wort und erklärte: „Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser und auch kein linker Minister.“ Auch nachdem sie ihre Bereitschaft zur Kandidatur erklärt hatte, antwortete sie auf Fragen zu einer von den Gemäßigten angestrebten rot-rot-grünen Koalition: „Ob wir das nächstes Jahr in einer gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen erreichen können – da bin ich auf der Bundesebene eher skeptisch.“
Dabei bemühen sich die Regierungsbefürworter in Berlin gerade darum, für dieses Ziel die Differenzen mit SPD und Grünen zu minimieren. Mit Wisslers Wahl dürften sie jedoch fast unüberbrückbar werden. So hatte die Bundestagsfraktion erst kürzlich den 72-jährigen Grandseigneur der Linken, Gregor Gysi, reaktiviert und zum außenpolitischen Sprecher gewählt, weil die Linke vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik als nicht regierungsfähig gilt. In einem seiner ersten Interviews hob Gysi denn auch hervor, dass die Linke „nie den Austritt Deutschlands aus der Nato gefordert“ hätte – was im schroffen Gegensatz zu Wisslers Auffassungen steht. Die Welt kommentierte ihre Kandidatur deshalb bereits mit den Worten, dass man Grün-Rot-Rot im Bund nunmehr „getrost abhaken“ könne.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die beiden Kandidatinnen nicht nur jede für sich wenig geeignet, die Partei zusammenzuführen und ihr mehr Zuspruch zu verschaffen. Als Doppelspitze erinnern sie zudem an zwei Autofahrer, die zusammen in einem Fahrzeug sitzen und es gleichzeitig nach rechts und links zu lenken versuchen. Da Wissler die eloquentere von beiden ist, wird sie die Partei in der Öffentlichkeit auf jeden Fall weiter nach links rücken. Sollten das ungleiche Paar also Ende Oktober gewählt werden, darf man gespannt sein, wie lange die Zwangsehe der beiden Linken-Politikerinnen ohne Streit und Blessuren hält.
Der Text erschien zuerst in: Die Tagespost vom 24. September 2020
Update vom 27.10.2020: Die Linke hat mitgeteilt, den Parteitag abzusagen. Anfang November werde der Parteivorstand über das weitere Vorgehen beraten.
Update vom 27.02.2021: Auf einem virtuellen Parteitag wurden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zu neuen Parteivorsitzenden der Linken gewählt.
(1) Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0-de, Wikimedia Commons
(2) Jenny Paul / CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
(3) Ferran Cornellà / CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
(4) Links: Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0-de, Wikimedia Commons, rechts: Sandro Halank, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
(5) Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
(6) Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0-de, Wikimedia Commons
(7) Martin Kraft / CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons
(8) Sandro Halank / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons