Mit der Diktatur in der DDR ist Deutschland ziemlich nachsichtig umgegangen. Während viele Verfolgte bis heute unter den Folgen von Haft und Unterdrückung leiden, genießen Zehntausende Ex-Funktionäre unbeschwert ihren Lebensabend. Nicht einmal die Symbole der SED-Diktatur wurden nach der Wiedervereinigung verboten. Warum? Teil 2 des Rückblicks auf Deutschlands Umgang mit den Insignien des DDR-Regimes.
Von Hubertus Knabe
Die Deutsche Einheit begann mit dem Aufziehen einer Fahne: Am 2. Oktober 1990 um 23:58 Uhr wurde vor dem Berliner Reichstag eine riesige schwarz-rot-goldene Flagge gehisst, Punkt Mitternacht wehte sie im Scheinwerferlicht. Während es die Evangelischen Kirchen abgelehnt hatten, in diesem Moment die Kirchenglocken läuten zu lassen, verkündete Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Die Einheit Deutschlands ist vollendet. Wir sind uns unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst.“
Wohl keiner hätte sich damals vorstellen können, dass wenige Jahre später vor dem Brandenburger Tor wieder eine Staatsflagge der DDR wehen würde. Und die meisten hätten es für einen schlechten Witz gehalten, wenn ihnen jemand gesagt hätte, dass bald im deutschen Fernsehen eine prominente Ostdeutsche voller Stolz in der Uniform der Jungen Pioniere erscheinen würde. Am 3. Oktober 1990 war die politische Welt noch in Ordnung, denn die übergroße Mehrheit der Deutschen war froh, dass es die DDR nicht mehr gab.
Viele Opfer der kommunistischen Diktatur verstehen bis heute nicht, warum mit dem Untergang der DDR nicht auch deren Symbole aus der Öffentlichkeit verschwanden. Mit geringem Aufwand hätte das bestehende Verbot, die Abzeichen des Nationalsozialismus zu zeigen, auf die Symbole der DDR ausgedehnt werden können. Die Kennzeichen von FDJ und KPD waren auf dem Gebiet der Bundesrepublik ohnehin schon untersagt. Warum wurden die Symbole des SED-Staates nach der Wiedervereinigung nicht ebenfalls verboten?
Die Antwort ist ebenso einfach wie beschämend: Weil die Opfer der SED-Diktatur keine politische Lobby hatten – oder, wie es viele von ihnen formulieren, weil sie in Deutschland als „Opfer zweiter Klasse“ gelten. Denn fast alle Regelungen, die den Verfolgten des Nationalsozialismus zugute kamen, wurden den Verfolgten des Kommunismus nach der Wiedervereinigung vorenthalten. Statt Wiedergutmachung nach dem Bundesentschädigungsgesetz gab es für sie spezielle „SED-Unrechtsbereinigungsgesetze“. Diese sahen keinen Ausgleich für erlittene Schäden, sondern nur eine Milderung fortdauernder Beschwernisse vor. In ihrer Untersuchung der Entschädigungsleistungen für das Unrecht in der NS- und SED-Diktatur kommt die Juristin Ulrike Guckes deshalb zu dem Schluss, dass die Opfer der beiden Regime eindeutig „’nach zweierlei Maß‘ entschädigt“ wurden.
Lesen Sie hier, wie die SED-Diktatur in Ostdeutschland auf Tausenden von Straßennamen weiterlebt.
Die ungleiche Behandlung der Opfer zeigt sich auch an anderer Stelle. Während beim Dritten Reich gleich drei Paragraphen des Strafgesetzbuches – § 86, § 86a und § 130 – die Verharmlosung des nationalsozialistischen Regimes mit Gefängnis bedrohen, gibt es für die DDR keinerlei vergleichbare Regelungen. Im Gegensatz zu anderen ex-sozialistischen Staaten stehen in Deutschland weder die Leugnung der kommunistischen Verbrechen noch die öffentliche Verwendung seiner Symbole unter Strafe.
Dabei hätte der Bundestag mit seiner schwarz-gelben Mehrheit Anfang der 1990-er Jahre recht einfach ein entsprechendes Verbot beschließen können – so wie er sich auch bei anderen Erblasten der DDR um Aufklärung und Gerechtigkeit bemühte. So kam er 1991 mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz einer Forderung ostdeutscher Bürgerrechtler nach, die Akten des Staatssicherheitsdienstes ohne die üblichen Sperrfristen für Opfer und Historiker zu öffnen. Und er beschloss damals auch, die überhöhten Renten der ehemaligen Staatsfunktionäre auf eine DDR-Durchschnittsrente zu begrenzen – was das Bundesverfassungsgericht allerdings später größtenteils wieder aufhob.
Die DDR-Fahne war schon einmal verboten. Zum ersten Teil des Berichtes über die SED-Symbole.
Dass es nicht zu einem Verbot der SED-Symbole kam, lag vor allem daran, dass die Verfolgten des Kommunismus kaum politische Fürsprecher hatten. Statt ihrer rückten nach der Wiedervereinigung die Millionen Mitläufer des sozialistischen Regimes in den Fokus der Politik – denn deren Stimmen hatten bei Wahlen mehr Gewicht. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien war bereit, für die Opfer der SED-Diktatur in einen offenen Konflikt mit der schweigenden Mehrheit der früheren DDR-Bevölkerung zu treten.
Und diese wollte von einem Verbot der SED-Symbole größtenteils nichts wissen. Schon kurz nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik begannen zahlreiche Ostdeutsche vielmehr, ihrer Vergangenheit nachzutrauern – so ähnlich, wie dies auch schon nach dem Ende des Nationalsozialismus der Fall gewesen war. Die ehemalige Staatspartei der DDR, die PDS, befeuerte diese Form politischer Nostalgie und entfaltete zugleich eine aggressive Agitation gegen das westliche System.
Auch viele konservative Politiker neigten vor diesem Hintergrund dazu, eher nachsichtig auf Verstrickungen in die untergegangene SED-Diktatur zu reagieren. Ein Verbot der Symbole, so fürchteten sie, könnte viele ehemalige DDR-Bürger weiter gegen den Westen aufbringen. Die Regierungsparteien ignorierten deshalb entsprechende Forderungen der Kommunismus-Opfer. Nicht einmal im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vom Mai 1994 spielte der Umgang mit den DDR-Symbolen eine Rolle.
Mit möglichen Rücksichtnahmen auf Russland, wie hin und wieder zu lesen ist, hatte das nichts zu tun. Der ehemalige SPD-Fraktionschef in der DDR-Volkskammer, Richard Schröder, behauptete, man hätte die SED, die sich während der Friedlichen Revolution in PDS umbenannte, nicht auflösen können, weil dies die Zustimmung der Sowjetunion zur Wiedervereinigung gefährdet hätte. Aus diesem Grund hätten auch ihre Symbole nicht verboten werden können. Tatsächlich gibt es keinerlei Beleg dafür, dass ein Verbot der SED-Symbole in Moskau als Affront aufgefasst worden wäre – erst Recht nicht nach der Wiedervereinigung, als der Deutsche Bundestag dafür zuständig war. Der Oberste Sowjet hatte selber am 29. August 1991 die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) mit ihren über 19 Millionen Mitgliedern verboten und aufgelöst. Noch weniger Grund zur Rücksichtnahme auf den Kreml bestand ab 1994, als Russland seine Truppen vollständig aus Ostdeutschland abgezogen hatte.
Dass die Opfer des Nationalsozialismus – wie heute von Verteidigern der SED-Diktatur gern behauptet wird – in einem Verbot der kommunistischen Symbole eine Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime sehen würden, spielte damals ebenfalls keine Rolle. Jüdische Vertreter schlussfolgerten aus der jüngsten deutschen Geschichte vielmehr gerade, dass politische Verbrechen auch im Fall der DDR konsequent aufgearbeitet werden müssten. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, war selber 1949 aus Ostdeutschland geflüchtet und machte keinen Hehl daraus, dass er die Bestrafung der Verantwortlichen für das SED-Unrecht für ebenso notwendig hielt wie die der Organisatoren der NS-Verbrechen.
Die große Ostalgie-Welle
Die Nachsicht, mit der das SED-Regime in den 1990-er Jahren behandelt wurde, führte freilich nicht dazu, dass sich die ostdeutsche Bevölkerung stärker mit dem System der Bundesrepublik identifizierte. Im Gegenteil: Weil sich die Verklärung der DDR so ungehindert ausbreiten konnte, erfasste sie immer breitere Kreise. Während 1990 noch knapp drei Viertel der Ostdeutschen die Verhältnisse im SED-Staat für „unerträglich“ hielten, sank diese Zahl auf 56 (1994) und später sogar nur noch 44 Prozent (2001). Und statt früher 19 Prozent hielten jetzt 42 Prozent der Befragten die Lebensverhältnisse in der DDR für „erträglich“.
Die geänderte Einstellung zur DDR drückte sich auch in den Wahlergebnissen aus: In Brandenburg konnte sich die PDS innerhalb eines Jahrzehnts von 18,7 (1994) auf fast 28 Prozent (2004) steigern. In Sachsen nahm sie im selben Zeitraum von 16,5 auf 23,6 Prozent zu, in Thüringen und Sachsen-Anhalt sah es ähnlich aus. Unter diesen Bedingungen war ein Verbot der SED-Symbole immer schwieriger durchzusetzen. Zudem regierte im Bund seit 1998 eine Koalition aus SPD und Grünen, die am Thema DDR wenig Interesse zeigten und in mehreren ostdeutschen Bundesländern Bündnisse mit der PDS anstrebten.
In dieser Zeit erlebte Deutschland eine geradezu bizarre Welle der DDR-Nostalgie. Ehemalige Systemträger wie der Vizeminister für Staatssicherheit Markus Wolf oder der Chef der DDR-Rechtsanwälte, Gregor Gysi, bevölkerten jetzt wie selbstverständlich die Talkshows. Auch DDR-Museen und Ostalgie-Shops schossen wie Pilze aus dem Boden. Politik und Medien begannen plötzlich, die „Vorteile“ der SED-Diktatur herauszustellen, von denen die Bundesrepublik angeblich noch lernen könnte. So paradox es klingt: Erst nach dem Untergang des Sozialismus bildete sich in Ansätzen jene kollektive DDR-Identität heraus, die zu schaffen sich die SED vier Jahrzehnte vergeblich bemüht hatte.
Der um sich greifende DDR-Retro-Trend wurde nur selten als Problem betrachtet. Kaum jemanden interessierte, was er für die Opfer und den gesellschaftlichen Umgang mit der SED-Diktatur bedeutete. „Wir bieten lediglich ein Produkt an, das einem Zeitgeist entspricht, den man schon seit einer ganzen Weile beobachten kann,“ rechtfertigte sich zum Beispiel 2004 eine Sprecherin des Berliner Möbelhauses Höffner, als SED-Verfolgte gegen den Verkauf von Kaffeetassen mit politischen DDR-Motiven protestierten. In einem in großer Zahl verteilten Prospekt hatte das Unternehmen Tassen beworben, auf denen unter anderem das Staatswappen der DDR und das Parteiabzeichen der SED abgebildet waren. Binnen weniger Tage waren rund 15.000 der auf 20.000 Stück limitierten Sonderauflage verkauft.
Überhaupt erlebten Ost-Produkte damals eine unerwartete Renaissance – und symbolisierten vielfach auch eine Art stummen Protest gegen den Westen. Gurken aus dem Spreewald oder Senf aus Bautzen waren eben nicht nur Produkte aus einer ostdeutschen Region, sondern standen vielfach auch für einen positiven Bezug zur DDR-Vergangenheit. Ausgerechnet westdeutsche Unternehmen, die nach der Vereinigung viele Ost-Marken übernommen hatten, beförderten diesen Trend mit großen Werbekampagnen. Der Tabakkonzern Philip Morris warb zum Beispiel für die DDR-Zigarettenmarke „Karo“ mit dem Slogan „Anschlag auf den Einheitsgeschmack“. Und die Werbung für die Ost-Zigarette „Juwel“ lautete: „Ich rauche Juwel, weil ich den Westen schon getestet habe.“
Höhepunkt dieser Welle bildeten die sogenannten Ostalgie-Shows im Sommer 2003. ZDF, MDR, Sat.1 und RTL erreichten mit ihnen ein Millionenpublikum. Insbesondere die frühere DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt erlangte nachhaltige Berühmtheit, weil sie in der mehrteiligen „DDR-Show“ in der Uniform der Jungen Pioniere, der kommunistischen Kinderorganisation der DDR, aufgetreten war. Und die gebührenfinanzierte Moderatorin des ZDF, Andrea Kiewel, ging sogar so weit, vor beinahe fünf Millionen Zuschauern mit erhobener Faust auszurufen: „Für Frieden und Sozialismus – seid bereit!“, woraufhin die Zuschauer im Chor erwiderten: „Immer bereit!“. In dieser Atmosphäre hätte es schon ein gehöriges Maß politischer Entschlossenheit bedurft, um ein Verbot der DDR-Symbole auf die Tagesordnung zu setzen.
2007 ergab sich allerdings noch einmal eine Chance, die Insignien des DDR-Sozialismus aus der Öffentlichkeit zu verbannen – über eine europäische Regelung. Als die Bundesrepublik die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernahm, startete die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nämlich eine Initiative, die Symbole des Nationalsozialismus einheitlich in ganz Europa zu verbieten. Die mittel- und osteuropäischen Länder unterstützten den Vorschlag, wollten aber auch die kommunistischen Abzeichen einbeziehen. Deutschland lehnte dies ab, so dass es überhaupt keine Regelung gab.
Der Eklat im Treptower Park
Danach schien es, als hätte sich Deutschland mit dem Missbrauch der Hoheitszeichen des SED-Staates abgefunden – obwohl ihre Zurschaustellung, zumal in Berlin, in dieser Zeit immer groteskere Züge annahm. So versammelten sich ehemalige DDR-Offiziere 2011 im Berliner Tierpark, um in Uniform den Gründungstag der Nationalen Volksarmee zu feiern, allen voran Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler. Ein Jahr später erschienen am Jahrestag des Mauerbaus zwei Männer in FDJ-Blusen vor der Gedenkstätte Berliner Mauer, als Politiker und Opfervertreter gerade Kränze für die Maueropfer ablegten. Und nahezu täglich marschierten vor dem Brandenburger Tor DDR-Uniformierte auf, die für Touristen mit der sozialistischen Staatsflagge wehten oder „Visa“ für den „Grenzübertritt“ ausstellten. In einem sogenannten „Ostel“ konnte man sich sogar in einer Stasi-Suite einmieten und gerahmte Honecker-Bilder kaufen und an der ehemaligen Berliner Mauer boten Verkäuferinnen mit Pionier-Halstuch DDR-Eis feil. Die touristischen Hotspots der Hauptstadt wurden von immer mehr Straßenhändlern heimgesucht, die auf ihren Tischen Berge von T-Shirts, Uniformen und Fahnen mit DDR-Symbolen ausbreiteten.
In dieser Zeit forderten nur wenige, gegen die um sich greifende Banalisierung der SED-Diktatur vorzugehen. Zu ihnen gehörte vor allem der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegner (CDU), der bereits 2007 ein Verbot der DDR-Symbole verlangt und Innenminister Wolfgang Schäuble zum Handeln aufgefordert hatte. Unterstützt wurde er vom damaligen Vorsitzenden der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Rainer Wagner, der sich auch an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wandte. Durch die ständige Verwendung der SED-Symbole, so schrieb er der Ministerin, werde der jungen Generation suggeriert, dass „die DDR ein unserem heutigen Rechtsstaat vergleichbares Gemeinwesen und kein brutales Unrechtsregime gewesen“ wäre. Die Junge Union beantragte schließlich 2011 beim Bundesparteitag der CDU, die Verwendung von DDR-Symbolen unter Strafe zu stellen. Der Parteitag beschloss damals mit großer Mehrheit einen Prüfauftrag – von dem danach nichts mehr zu hören war.
Erst zwei Jahre später änderte sich die Lage. Bei einer Gedenkveranstaltung am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin waren im Mai 2013 Mitglieder eines „Traditionsverbandes Nationale Volksarmee“ in Stasi-Uniformen im Gleichschritt aufmarschiert. Die Polizei ließ sie gewähren, da sie keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen sah. Im politischen Berlin war die Empörung so groß, dass der damalige Vorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU/CSU, Volker Kauder, ankündigte, den Vorfall zum Anlass zu nehmen, über ein strafrechtliches Verbot von Symbolen des SED-Staats nachzudenken. Ein entsprechender Antrag fand wenig später auch beim CDU-Parteitag eine große Mehrheit. Zum ersten Mal stand damit ein Verbot der SED-Symbole auf der politischen Agenda des Bundestages.
Der Widerstand formierte sich allerdings sofort. In einem Brief an den Abgeordneten Kai Wegner schrieb Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Unrechtstaten des SED-Regimes könnten nicht mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus gleichgesetzt werden – was gar niemand behauptet hatte. Durch eine strafrechtliche Gleichbehandlung der Symbole der DDR und ihrer Organisationen mit denen des Nationalsozialismus würde zudem der Blick auf die Einzelschicksale „nur unnötig verstellt“. Selbst der FDP-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Lindner, konnte den Argumenten seiner Ministerin damals nichts abgewinnen.
Wenig später meldete sich der SPD-Politiker und Theologe Richard Schröder in der FAZ zu Wort. In einer langen Polemik bezeichnete er ein Verbot der SED-Symbole als „unberechtigt, schädlich und lächerlich“. Schröder, der zuvor schon gegen eine Entfernung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter aus der Stasi-Unterlagen-Behörde aufgetreten war, behauptete, dass die SED-Symbole nicht verboten werden könnten, weil man dazu „erst einmal die DDR, die SED, die NVA, die FDJ et cetera verbieten“ müsste – was rechtlich gar nicht zutreffend ist (siehe untenstehenden Kasten). Schröders Text gipfelte in der Behauptung, die Entfernung des DDR-Staatswappens aus der Öffentlichkeit sei „radikale Intoleranz“.
Nach den Bundestagswahlen und dem Machtantritt der Großen Koalition im Dezember 2013 äußerte sich auch die neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD) – nach eigenen Angaben für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts und die Würdigung der Opfer zuständig. Ein Verbot der SED-Symbole lehnte sie mit der Begründung ab, dass man „die DDR nicht mit Nazideutschland gleichsetzen“ dürfe – was nun zum Lieblingsargument der Verbotsgegner wurde. Zugleich erklärte sie, dass ein Verbot auch bedeute, „ein Stück Erinnerung an die DDR zu tilgen“. Schließlich fragte sie den Journalisten: „Soll ich jetzt meine Ingenieursurkunde wegschmeißen, weil Hammer, Zirkel und Ährenkranz drauf sind?“
Noch ein weiterer SPD-Politiker erklärte damals seine Ablehnung eines Verbots von DDR-Symbolen. Bei einem Pressetermin mit einer Schulklasse im Januar 2014 sagte der damalige Kultusminister von Sachsen-Anhalt Stephan Dorgerloh: „Ich halte davon absolut gar nichts“. Ein anwesender Pädagoge assistierte ihm und erklärte, er könne dann den Schülern in seinen Seminaren keine DDR-Fahne mehr zeigen. Obwohl er es als Bildungsminister hätte besser wissen müssen, unterließ es Dorgerloh richtigzustellen, dass nach geltender Rechtslage auch Hakenkreuze im Schulunterricht gezeigt werden dürfen (siehe Kasten).
Auch der damalige Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck, ebenfalls langjähriges SPD-Mitglied, sah sich veranlasst, dem Vorschlag, die SED-Symbole im 25. Jahr des Mauerfalls zu verbieten, öffentlich eine Absage zu erteilen. In einer Zeitungskolumne fragte er im Februar 2014: „Droht das Verbot der Spreewaldgurke? Wird das Sandmännchen mit seinem bekannten Mitarbeiterstab aus den Sendeanstalten vertrieben?“ Nach einem Seitenhieb auf Ungarn und Lettland kam der Grafiker, der sich sonst gern als „Störer der bequemen Verhältnisse“ feiern lässt, zu dem Schluss, dass vom Gebrauch der DDR-Symbole keine Gefahr ausginge und sich Deutschland lieber anderen Themen zuwenden solle.
Nostalgie-Schal mit Strickmuster „DDR – Heimat für alle“
Ernsthaft mit den Möglichkeiten und Probleme eines Verbots der SED-Symbole beschäftigte sich zu diesem Zeitpunkt nur die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Im Mai 2014, zum ersten Jahrestag der Vorfälle im Treptower Park, führte sie eine Expertenanhörung durch, bei der es erstmals um die praktische Umsetzung eines solchen Verbotes ging: Welche Symbole sollten überhaupt erfasst werden und wie sollte deren Verbot rechtlich geregelt werden? Mehrere Sachverständige machten dazu Vorschläge, die auf der Website der Gedenkstätte – noch – nachgelesen werden können; hier gibt es sie sicherheitshalber zum Download:
Die geladenen Experten waren sich weitgehend einig, dass die bestehenden Regelungen für NS-Kennzeichen auf die Symbole der DDR ausgeweitet werden sollten. Namentlich das Staatswappen der DDR, das Wappen des Ministeriums für Staatssicherheit, die Symbole von SED und FDJ sowie militärische Uniformen sollten auf diese Weise aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Der ehemalige Bautzen-Häftling Hartmut Richter, der sich schon zweimal – 2008 und 2013 – an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages gewandt hat, machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, dass er jedes Mal eine abschlägige Antwort erhalten hatte. Nur die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, die inzwischen auch dem Stiftungsrat der Gedenkstätte angehört, sprach sich in der Anhörung gegen ein Verbot aus.
Während der Veranstaltung versprach der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld, sich in seiner Fraktion um eine Prüfung und Umsetzung der Vorschläge zu bemühen. Um so größer war die Überraschung, als er im Januar 2015 mitteilte, dass die Union das Vorhaben aufgegeben habe. Als Grund führte Lengsfeld hohe rechtliche Hürden an. Zudem habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein ähnliches Verbot in Ungarn für unrechtmäßig erklärt. Schließlich hätten wichtige Teile der Linkspartei den Unrechtscharakter der DDR inzwischen offiziell anerkannt, wodurch das Verbot weniger dringlich geworden sei. „Die CDU kreiste wie der berühmte Berg, gebar aber nicht einmal ein Mäuschen,“ kommentierte der Berliner Journalist Gunnar Schupelius Lengsfelds Erklärung.
Tatsächlich sind die rechtlichen Hürden nicht höher als bei anderen Verboten, die die Meinungsfreiheit einschränken. Und mit der Linkspartei, die die DDR bis heute nicht als Diktatur und Unrechtsstaat verurteilt hat, hat das Symbolverbot verhältnismäßig wenig zu tun. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betraf zudem einen Fall, bei dem es um einen fünf Zentimeter großen roten Stern auf der Jacke eines Anhängers der in Ungarn offiziell zugelassenen kommunistischen Partei ging. Das Straßburger Gericht hatte es im Grundsatz sogar akzeptiert, dass ein Eingriff in die Meinungsfreiheit zum Schutz der Rechte anderer legitim sei. Es bestritt aber, dass das Verbot in diesem konkreten Fall notwendig gewesen war, wodurch es im Gegensatz zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention stünde. Die Richter bewirkten mit ihrer Entscheidung, dass der ungarische Verfassungsgerichtshof 2013 das Verbot des Tragens von „Symbolen der Willkürherrschaft“ aufhob – wodurch auch Hakenkreuz und Pfeilkreuz in Ungarn legal wurden.
Auch in Deutschland hat die Justiz bei der Aufarbeitung des Kommunismus oftmals eine unrühmliche Rolle gespielt. Vergleicht man zum Beispiel die Rechtsprechung zu den Symbolen von Kommunismus und Nationalsozialismus fällt eine klare Tendenz auf, mit zweierlei Maß zu messen. Obwohl die Kennzeichen von KPD und FDJ nach § 86a Strafgesetzbuch eindeutig verboten sind, wurde dieses Verbot in den letzten Jahren durch Richtersprüche immer weiter ausgehöhlt. So wurden zwei Strafverfahren, die 2017 und 2018 gegen linksextreme Demonstranten in Chemnitz und Dresden wegen des Tragens einer KPD-Fahne eingeleitet worden waren, von der Justiz wieder eingestellt. Zur Begründung hieß es, es sei nicht klar gewesen, ob es sich um die Kennzeichen der verbotenen KPD oder aber einer Neugründung gehandelt hätte. Das Zeigen von Hammer und Sichel würde nur noch dann bestraft, wenn sich dies direkt auf die 1956 verbotene Partei bezöge – eine Einschränkung, die bei nationalsozialistischen Symbolen nicht vorgenommen wird.
Demonstrant mit Hammer-und-Sichel-Fahne in München 2011 (3)
Mit einer ähnlichen Begründung wurde auch das Verbot des FDJ-Symbols de facto außer Kraft gesetzt. So sprach ein Berliner Gericht die beiden FDJ-Mitglieder
frei, die 2012 bei einer Gedenkveranstaltung für die Mauertoten im Blauhemd erschienen waren. Zur Begründung hieß es, dass nicht klar sei, ob es sich um das Symbol der verbotenen West-FDJ oder der nicht verbotenen DDR-FDJ handeln würde. In Wirklichkeit war die FDJ organisatorisch immer ein und dieselbe Vereinigung – die auf dem Gebiet der Bundesrepublik höchstrichterlich verboten wurde.
Becher mit verbotenem FDJ-Symbol von ost-shop.de
Unbestraft blieb auch der Aufmarsch in DDR-Uniformen im Berliner Treptower Park. Erst im Nachhinein war die Polizei zu der Erkenntnis gekommen, dass die Mitglieder des Vereins „Traditionsverband Nationale Volksarmee“ mit ihrer Aktion gegen das Uniformverbot im Versammlungsrecht verstoßen hatten. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein, ließ mehrere Wohnungen durchsuchen und erhob Anklage gegen fünf Beteiligte. Der Richter stellte jedoch das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein, da weder eine Bestrafung noch ein Freispruch „das richtige Signal gewesen“ wären.
Mit ihren Entscheidungen haben Politik und Justiz in den letzten 30 Jahren dafür gesorgt, dass die Diktatur der SED den meisten Zeitgenossen als vergleichsweise harmlose Veranstaltung erscheint. Das ist nicht nur bitter für die Opfer, deren Leben durch das DDR-Regime nachhaltig beschädigt wurde. Es ist auch riskant für die politische Zukunft Deutschlands, wenn Diktaturen wie die der SED auf diese Weise ihren Schrecken verlieren. Dass ausgerechnet die Erfahrung des Nationalsozialismus die Begründung dafür liefert, das Unrechtsregime in der DDR als halb so schlimm zu kennzeichnen und seine Opfer allein zu lassen, zeigt, wie wenig die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben.
1. Ein Verbot der SED-Symbole setzt die DDR mit dem Nationalsozialismus gleich.
Auch Diebstahl und Mord werden nicht dadurch gleichgesetzt, dass beides strafrechtlich verfolgt wird. Beim Nationalsozialismus sind zudem nicht nur die Symbole verboten, sondern auch ein breites Spektrum von Meinungsäußerungen. Wer die Verbrechen der Nationalsozialisten leugnet, verharmlost oder billigt, kann gemäß § 130 Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Leugnung, Verharmlosung oder Billigung der Verbrechen des Kommunismus blieben bei einem Verbot der SED-Symbole weiterhin straffrei.
2. Ein Verbot der SED-Symbole schränkt die Meinungsfreiheit ein.
Die Verwendung des DDR-Staatswappens und anderer Kennzeichen des Sozialismus erfolgt fast immer aus kommerziellen Gründen. Nur selten geht es darum, eine politische Meinung auszudrücken. Zudem ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch derzeit schon begrenzt, zum Beispiel bei Beleidigung, Verleumdung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus sowie bei Demonstrationen vor überregional bekannten NS-Gedenkstätten. Illegal sind auch diverse Symbole rechtskräftig verbotener Organisationen. In Wirklichkeit wird die Meinungsfreiheit in Deutschland vor allem durch einen wachsenden politischen Anpassungsdruck eingeschränkt, der dazu führt, dass viele Menschen Angst haben, offen ihre Meinung zu sagen.
3. Ein Verbot der SED-Symbole ist rechtlich nicht möglich.
Für ein Verbot der SED-Symbole bestehen verschiedene rechtliche Möglichkeiten. So kann das Verbot von Propagandamitteln und Kennzeichen des Nationalsozialismus nach §§ 86 und 86a Strafgesetzbuch auf die Symbole der DDR ausgedehnt werden. Die Abzeichen von FDJ und KPD sind auf dem Gebiet der Bundesrepublik rechtlich ohnehin schon verboten. Laut § 132a Strafgesetzbuch macht sich außerdem strafbar, wer unbefugt inländische oder ausländische Uniformen und Amtszeichen trägt, was auf die der DDR explizit ausgedehnt werden könnte. Auch über eine Ergänzung des Ordnungswidrigkeitengesetzes kann die Verwendung bestimmter Symbole untersagt werden. Dieses verbietet gemäß §§ 124 und 125 bereits jetzt die unbefugte Benutzung der Wappen der Bundesrepublik, der Bundesländer sowie der Schweiz und des Roten Kreuzes.
4. Ein Verbot der SED-Symbole führt dazu, dass diese nirgendwo mehr verwendet werden dürfen – zum Beispiel in der Bildungsarbeit oder bei der Vorlage von DDR-Schulzeugnissen.
Zur „staatsbürgerlichen Aufklärung“ bliebe die Verwendung von SED-Symbolen – wie bei den Kennzeichen des Nationalsozialismus – weiterhin straffrei. Die Vorlage von DDR-Dokumenten wäre von einem Verbot genauso wenig erfasst wie bei Unterlagen, auf denen sich der nationalsozialistische Reichsadler befindet.
5. Ein Verbot der SED-Symbole führt zu einem hohen Verfolgungsaufwand.
Im Vergleich zu anderen Verstößen wie zum Beispiel Falschparken wäre der Verfolgungsaufwand äußerst gering. Schon die Androhung eines Bußgeldes würde dazu führen, dass die Symbole des SED-Staates aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwinden würden. Wie unkompliziert ein Verbot in der Praxis funktioniert, kann man am Brandenburger Tor in Berlin sehen, wo der Bezirk Mitte 2014 jede Art von Straßenkommerz untersagte, woraufhin sich die DDR-Uniformierten sofort entfernten. Einen geringen Verfolgungsaufwand gäbe es nur in den Fällen, in denen die DDR-Symbole aus politischen Gründen genutzt werden – wie 2013 beim Stasi-Aufmarsch im Treptower Park oder beim jährlichen Gedenkmarsch zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Bei einem Verbot der SED-Symbole hätte die Polizei erstmals eine klare Rechtsgrundlage, um gegen die Bagatellisierung der kommunistischen Diktatur und die Verhöhnung ihrer Opfer vorzugehen.
(1) Colin Smith, http://geo.hlipp.de/photo/26164
(2) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0224-006 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA 3.0
(3) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hammer_und_Sichel_1_Maikundgebung_Muenchen_2011.JPG