Warum ich Nancy Faeser angezeigt habe

Ermittelte monatelang gegen einen Unschuldigen - Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der re:publica 2022 (1)

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat monatelang gegen einen Beamten ermitteln lassen, obwohl dessen Unschuld feststand. Laut Strafgesetzbuch ist dies eine Straftat. Auch ihre Aussagen im Innenausschuss des Bundestags haben sie nicht entlastet.

Von Hubertus Knabe

vgwort

Vielleicht ist es eine Berufskrankheit. Aber wenn ein Arbeitgeber im Streit mit seinem Mitarbeiter den Verfassungsschutz um Hilfe bittet, werde ich hellhörig. Seit mehr als 30 Jahren beschäftige ich mich mit der Stasi und ihren Methoden. Ich weiß deshalb sehr genau, wie wichtig es ist, den Bürger vor allumfassender staatlicher Überwachung zu schützen.

Aus diesem Grund habe ich bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erstattet. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich eine Ministerin angezeigt. Manche gratulierten mir anschließend zu meinem „Mut“, obwohl in Deutschland doch alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Aber ich gebe zu, dass es einen Unterschied macht, ob man der Polizei einen Kellereinbruch meldet oder der für Bundeskriminalamt und Bundespolizei verantwortlichen Ministerin die Verfolgung Unschuldiger vorwirft. Und genau darum geht es.

Der Fall Arne Schönbohm

Anlass war ein Bericht der „Bild“-Zeitung, die ein internes Papier aus dem Bundesinnenministerium veröffentlicht hatte. Es enthielt Anweisungen des Verwaltungschefs nach einem Gespräch mit Nancy Faeser im März dieses Jahres. Der Abteilungsleiter Z unterrichtete darin seine Untergebenen, dass er die Ministerin über den Abschluss sogenannter Vorermittlungen informiert habe. Dabei ging es um den Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm. Der Komiker Jan Böhmermann hatte diesem im Oktober 2022 zu Unrecht nachrichtendienstlicher Kontakte nach Russland vorgeworfen. Zehn Tage später hatte Frau Faeser dem Beamten die weitere Ausübung seines Amtes und jede öffentliche Äußerung zu den Vorwürfen verboten.

Amtsausübung verboten – Dokument aus dem Bundesinnenministerium über ein Gespräch mit Nancy Faeser (2)

Um seine Unschuld zu beweisen, beantragte Schönbohm deshalb gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren. Nach monatelangen Ermittlungen teilte der Verwaltungschef – der privat zugleich Faesers Vermieter ist – der Ministerin mit, dass an den Vorwürfen tatsächlich nichts dran gewesen sei. Wie er seinen Untergebenen schrieb, sei sie mit diesem Ergebnis jedoch „sichtlich unzufrieden“ gewesen. „Sie fand die Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu ‚dünn‘“. Als der Verwaltungschef der Ministerin entgegenhielt, „dass wir alle relevanten Behörden und Abteilungen bereits beteiligt hätten und es schlicht nicht mehr gäbe,“ verlangte Frau Faeser, das Bundesamt für Verfassungsschutz „nochmals“ abzufragen „und alle Geheimunterlagen zusammentragen.“

Wenn ein Amtsträger jemanden verfolgt oder auf seine Verfolgung hinwirkt, obwohl er weiß, dass es dafür keinen Grund gibt, ist dies in Deutschland eine Straftat. Nach § 344 Absatz 2 Strafgesetzbuch wird er für die „Verfolgung Unschuldiger“ mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Dem Gesetz zufolge gilt dies auch für eine Amtsträgerin wie Frau Faeser, wenn sie zur Mitwirkung an einem Disziplinarverfahren berufen ist. Selbst der Versuch einer solchen Verfolgung Unschuldiger ist strafbar.

Genau dieser Fall scheint mir hier vorzuliegen. Obwohl nach über viermonatiger Prüfung feststand, dass gegen den Beamten nichts vorlag, verlangte Frau Faeser von ihren Mitarbeitern eine erneute Abfrage beim Verfassungsschutz. Die Ministerin ließ auch weiter nach Belastungsmaterial suchen, offensichtlich in der Absicht, die Amtsenthebung nachträglich zu begründen. Dabei sind Disziplinarverfahren einzustellen, wenn ein Vergehen nicht erwiesen ist. Im Fall Schönbohm vergingen jedoch noch zwei weitere Monate, bis das Verfahren endlich beendet wurde.

Unschuldig verfolgt – Der frühere Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (3)

Am 20. Juni hat Frau Faeser – nach zweimaliger Absage – dem Innenausschuss in nicht-öffentlicher Sitzung Rede und Antwort zu den Vorgängen gestanden. Sie und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV), Thomas Haldenwang, bestätigten, dass es 2022 zu Schönbohm eine Anfrage beim Verfassungsschutz gegeben habe. Gleichwohl erklärte die Ministerin im Anschluss, sie halte es für „unverantwortlich, dass dieser infame Vorwurf einer angeblichen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes wider besseren Wissens weiterhin wiederholt wird“.

Im Bundestag begründete Frau Faeser die Amtsenthebung anschließend damit, sie habe nicht mehr „vollstes Vertrauen“ in Schönbohm gehabt. Bereits deutlich vor ihrem Amtsantritt habe es „immer wieder Beanstandungen der Fachaufsicht“ hinsichtlich seiner Amtsausübung gegeben. Zudem habe es „gravierende fachliche Differenzen hinsichtlich der Fragen der Bewertung der Gefahr durch Cyberangriffe im Zuge des russischen Aggressionskrieges“ gegeben. Warum sie dann erst im Oktober 2022 aktiv wurde und weshalb sie den Verfassungsschutz einschaltete, blieb unbeantwortet.

Abfrage beim Verfassungsschutz

Aus gutem Grund haben Minister in Deutschland nicht das Recht, willkürlich Nachforschungen über ihre Mitarbeiter beim Verfassungsschutz anstellen zu lassen. Erlaubt sind diese nur mit einer Rechtsgrundlage – zum Beispiel bei einer Sicherheitsüberprüfung. Auch dabei dürfen jedoch keine nachrichtendienstliche Mittel genutzt werden. Wenn es tatsächlich Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass Arne Schönbohm mit dem russischen Geheimdienst kooperiert hätte, hätte der Verfassungsschutz den Generalbundesanwalt von sich aus informieren müssen. Frau Faeser war zu einer Abfrage nicht befugt.

Unbefugte Abfrage beim Verfassungsschutz – Dienstsitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin (4)

Warum die Ministerin nach den Behauptungen eines Fernsehkomikers über sechs Monate gegen einen Unschuldigen ermitteln ließ und anordnete, dazu auch nach „Geheimunterlagen“ zu suchen, ist mir nicht bekannt. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der Betroffene Sohn des ehemaligen CDU-Politikers Jörg Schönbohm ist. Augenscheinlich ging es jedenfalls nicht darum, wie im Bundesdisziplinargesetz vorgeschrieben, belastende und entlastende Umstände unvoreingenommen zu ermitteln.

Darauf deutet auch ein weiterer Vermerk hin, der von „Bild“ veröffentlicht wurde. Unter Bezugnahme darauf, dass Claudia Plattner Schönbohms Nachfolger als Präsident des Bundesamtes werden sollte, heißt es darin wörtlich: „Da nun die Personalie Plattner steht, können wir den Abschluss des Verfahrens angehen.“ Der Ministerin sollte dazu ein entsprechendes Votum vorgelegt werden. Im Klartext: Weil Schönbohms Nachfolge geregelt war, wurde das Verfahren sang- und klanglos eingestellt.

Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft diese und weitere Unterlagen des Innenministeriums heranzieht, um das Verhalten der Ministerin strafrechtlich zu beurteilen. In einem funktionierenden Rechtsstaat ist genau das ihre Aufgabe. Dass Frau Faeser entgegen dem Gesetz ein Disziplinarverfahren willkürlich in die Länge gezogen hat, scheint mir bereits jetzt belegt.

Disziplinarverfahren willkürlich in die Länge gezogen – Gebäude der Staatsanwaltschaft in Berlin-Moabit (5)

Offen ist weiterhin, in welchem Maße Frau Faeser dabei auf Informationen des ihr unterstellten Verfassungsschutzes zurückgegriffen hat. In der Öffentlichkeit hat sie erklärt, dass gegen Herrn Schönbohm keine nachrichtendienstlichen Mittel angewandt worden seien. Dies wäre in der Tat ein gravierender Verstoß gegen geltendes Recht. Der gesunde Menschenverstand sagt einem allerdings, dass man nicht nach „Geheimunterlagen“ fragt, um nur allgemein Bekanntes zu erhalten.

Im Innenausschuss bestritt Frau Faeser, die in dem Vermerk zitierten Äußerungen gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft müsste daher Frau Faeser und ihren Verwaltungschef befragen, was genau in dem Gespräch gesagt wurde und welche Schritte danach eingeleitet wurden. Wichtig wäre es auch, sich die Korrespondenz mit dem Verfassungsschutzes anzusehen. Sollte diese ganz oder teilweise als „geheim“ eingestuft sein, wäre dies ein Hinweis darauf, dass womöglich doch nachrichtendienstlich gewonnene Informationen eingeflossen sind. Nicht nur die Staatsanwaltschaft, auch das Parlamentarische Kontrollgremium hat das Recht, sich darüber informieren zu lassen.

Und damit sind wir wieder beim DDR-Staatssicherheitsdienst. Personenauskünfte waren auch bei der Stasi gang und gäbe. Die Akten im Bundesarchiv sind voll davon. Damit es in Deutschland nicht dazu kommt, dass Minister den Verfassungsschutz für die Austragung persönlicher Fehden missbrauchen, ist es in meinen Augen wichtig, dass die Staatsanwaltschaft sich des Falles Faeser annimmt – unabhängig und möglichst bald.

Bildnachweis:
(1) Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0
(2) BILD vom 12.09.2023
(3) Thomas Springer
(4) © Boevaya mashina / CC BY-SA 3.0
(5) Fridolin freudenfett (Peter Kuley) / CC BY-SA 3.0

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