Der Herr der Spione

Der Herr der Spione
In Berlin verstorben – Ex-Spionagechef Werner Großmann (l.) bei einer Ehrung durch SED-Chef Erich Honecker (1)

Werner Großmann lenkte mehr als 1500 Informanten in der Bundesrepublik. Jetzt ist der letzte Spionagechef der DDR gestorben. Bekannt wurde er vor allem durch die öffentliche Beschönigung der SED-Verbrechen.

Von Hubertus Knabe

„Kundschafter des Friedens“ – so nannte die DDR ihre zahlreichen Informanten in der alten Bundesrepublik. Sie saßen in Parteien, Ministerien, Protestbewegungen und sogar in den Kirchen. Etwa die Hälfte von ihnen gehörte zum Apparat der Hauptverwaltung A (HVA), der Spionageabteilung des Staatssicherheitsdienstes. Herr dieser größten Diensteinheit der Stasi war jahrzehntelang Markus Wolf – bis dieser sich 1986 überraschend zurückzog und die Leitung an Werner Großmann übergab.

Mit seinem schillernden Vorgänger hatte der letzte Spionagechef der DDR indes nur wenig gemein: Nicht in Moskau hatte er seine Kindheit verbracht, sondern in dem sächsischen Nest Oberebenheit. Sein Vater war auch kein berühmter jüdisch-kommunistischer Schriftsteller, sondern einfacher Zimmermann. Und statt intellektuellem Charme besaß Werner Großmann die spröde Ausstrahlung eines Apparatschiks.

Schillernder Vorgänger – Ex-Spionagechef Wolf spricht am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin (2)

Großmanns Werdegang war gleichwohl typisch für viele hohe DDR-Funktionäre. Geboren 1929, kämpfte er als 16-Jähriger in Hitlers Volkssturm. Ohne Schulabschluss machte er nach Kriegsende eine Maurerlehre. Die SED, die das Bürgertum durch loyalere Kader ersetzen wollte, ließ ihn das Abitur nachmachen und an der Technischen Hochschule in Dresden ein Studium beginnen. Mit 22 Jahren rekrutierte ihn dort der neu gegründete DDR-Staatssicherheitsdienst.

Nachfolger von Markus Wolf

Wie viele spätere Stasi-Generäle erlebte Großmann im Ministerium für Staatssicherheit einen rasanten Aufstieg. Mit 27 Jahren wurde er Vizechef der DDR-Militärspionage, mit 33 Abteilungsleiter. Nach dem Besuch der Parteihochschule in Moskau Mitte der 1960er Jahre und einem eher formalen Fernstudium an der Stasi-Hochschule schien er auch für höhere Würden geeignet: 1975 wurde er Wolfs Stellvertreter und elf Jahre später sein Nachfolger.

Zwar gehörte Großmann nun zum erlauchten Kreis der Mielke-Stellvertreter, doch glänzen konnte er nicht mehr in seinem Amt. Die spektakulären Erfolge der DDR-Spionage fielen durchweg in die Zeit seines Vorgängers, der wichtige Agenten wie den FDP-Politiker William Borm auch gerne mal selber traf. Ob Klaus Kuron im Bundesamt für Verfassungsschutz, ob Gabriele Gast im Bundesnachrichtendienst, ob Rainer Rupp im NATO-Hautquartier – sie alle waren schon sehr viel früher zur Stasi gestoßen. Großmanns konnte sich lediglich zugutehalten, bei der HVA ein „EDV-Gesamtsystem“ eingeführt zu haben.

Erlauchter Kreis der Mielke-Stellvertreter – die Leiter der Hautverwaltung A Markus Wolf und Werner Großmann (3)

Drei Jahre später kam dann der unerwartete Absturz. Trotz seiner über 13.000 DDR-Informanten und mehr als 1500 westdeutschen Agenten hatte Großmann die Friedliche Revolution im Herbst 1989 nicht vorhergesehen. Dabei hatte er in seiner letzten Planorientierung noch versprochen, „alle politisch-operativen Maßnahmen auf den Schutz unserer Republik und der sozialistischen Staatengemeinschaft zu konzentrieren.“

Das 1999 erstmals veröffentlichte Dokument gibt einen Einblick in das Ausmaß der Infiltration der Bundesrepublik. Es liest sich, als hätte eine unsichtbare Hand kontinuierlich in die westdeutsche Politik eingegriffen. Die „Rechtskräfte“, so heißt es zum Beispiel, seien „auf der Grundlage geeigneter Informationen zu kompromittieren und politisch zu isolieren.“ Bestrebungen einzelner SPD-Politiker, den Dialog mit der SED zur „Inspirierung feindlicher Kräfte in der DDR zu missbrauchen“, seien zu bekämpfen. Bei den Grünen seien „sozialismusfeindliche, subversiv wirkende Kräfte zurückzudrängen“. Das Papier widerlegt nicht zuletzt Großmanns spätere Behauptung, die HVA hätte mit der inneren Repression in der DDR nichts zu tun gehabt.

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Im März 1990 musste Großmann, der gerade erst zum Generaloberst befördert worden und mittlerweile 61 Jahre alt war, den Dienst quittieren. Auf Druck der Bevölkerung wurde die Stasi ersatzlos aufgelöst. Die Hoffnungen der HVA, in einer reformierten DDR weiterarbeiten können, erfüllten sich dadurch nicht. Sie konnte dem Runden Tisch lediglich die Zustimmung abringen, dass sie sich selber liquidieren durfte – was sie dazu nutzte, den Großteil ihrer Akten zu vernichten. Was Großmanns Meinung nach „allen Beteiligten zur Ehre“ gereichte, führte später zu dem Eindruck, nur Ostdeutsche hätten sich zu Spitzeldiensten bereitgefunden.

Großteil der Spionageakten vernichtet – Demonstration vor der Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 in Berlin (4)

Keine Strafverfolgung

Wer für eine fremde Macht „eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist“, wird in der Bundesrepublik mit Freiheitsstrafe bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren bestraft. Am Tag, als die DDR der Bundesrepublik beitrat, wurde Großmann deshalb verhaftet. Doch die „Klassenjustiz“ erwies sich als gnädig und ließ ihn bereits am nächsten Tag wieder frei. Das Ermittlungsverfahren wegen Spionage, Urkundenfälschung und Bestechung wurde eingestellt, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1995 entschieden hatte, dass sich Stasi-Offiziere nicht strafbar gemacht hätten. Großmanns frühere Bemühungen, mit dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble eine Amnestie auszuhandeln, erübrigten sich damit.

Doch statt Dankbarkeit zu zeigen, verschrieb sich Großmann dem Kampf gegen Kritiker der DDR-Geheimpolizei. In seinem Buch „Bonn im Blick“ rühmte er die Spitzelarbeit seines Dienstes. In Vereinen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter fungierte er als graue Eminenz. Zu einer Sammlung mit Erinnerungen von DDR-Spionen steuerte er zusammen mit seinem Vorgänger ein Vorwort bei, in dem beide bekräftigten, dass „unsere Hochachtung und unsere Dankbarkeit uneingeschränkt allen früheren Kundschaftern“ gehören.

Von sich reden machte Großmann in dieser Zeit vor allem durch Auftritte bei der Linkspartei. Diese lud ihn mehrfach zu Lesungen und Gesprächen ein – was damals noch zu Protesten führte. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, in deren Wahlbezirk sich die ehemalige Stasi-Zentrale befindet, verteidigte eine Einladung Großmanns damit, dass „sich die Linke eine neue Sachlichkeit im Umgang mit der DDR-Geschichte“ wünsche. Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland bezeichnete sie deshalb als „Heilige Johanna der Alt-Tschekisten“, während diese ihr zuverlässig zu einem Direktmandat im Bundestag verhalfen, auch bei den letzten Wahlen.

„Heilige Johanna der Alt-Tschekisten“ – Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch aus dem Berliner Bezirk Lichtenberg (5)

Zuletzt lebte Großmann zurückgezogen in einem Seniorenheim in Berlin-Hohenschönhausen. Am 28. Januar ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Als sein Vorgänger 2006 zu Grabe getragen wurde, war die gesammelte Linken-Prominenz – von Dietmar Bartsch über Klaus Lederer und Petra Pau bis Klaus Ernst – zur Trauerfeier erschienen. Man darf gespannt sein, wer Werner Großmann die letzte Ehre erweisen wird.

Leseempfehlung: Hubertus Knabe, Die Unterwanderte Republik. Stasi im Westen, Berlin 1999.

Bildnachweis
(1) Bundesarchiv/BStU, MfS, SdM, Fo, Nr. 92
(2) Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-431 / Grimm, Peer / CC-BY-SA 3.0
(3) Bundesarchiv/BStU, MfS HA KuSch Nr. 1567 Wolf, Markus, Lichtbild 73218 und Grossmann, Werner, Lichtbild 18727
(4) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0116-013 / CC-BY-SA 3.0
(5) Fraktion DIE LINKE. im Bundestag / CC BY 2.0

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