Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung behauptet, immer mehr Deutsche hätten rechtsextreme Überzeugungen. Doch die Analyse beruht auf zweifelhaften Methoden. Viele Medien verbreiteten die Behauptung dennoch ungeprüft weiter.
Von Hubertus Knabe
Die Nachricht hatte es in sich: „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Verharmlosung von Naziverbrechen,“ so berichtete die „Tagesschau“, „immer mehr Deutsche teilen laut einer Studie rechtsextreme Einstellungen.“ Im Vergleich zu den Vorjahren habe sich ihr Anteil praktisch verdreifacht.
Verkündet wurde die Botschaft von Martin Schulz, dem erfolglosen Kanzlerkandidaten der SPD, der jetzt die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. Seit 2006 lässt diese etwa alle zwei Jahre Umfragen durchführen, die „das Eindringen und Reaktivieren von rechtsextremen Einstellungen in die Mitte der Gesellschaft“ belegen sollen, wie es in der neuen Studie heißt. Laut Schulz zeigen die Ergebnisse: „Populismus und antidemokratische und völkische Positionen sind auf dem Vormarsch.“
Dass diese Diagnose zutrifft, ist zweifelhaft. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz betrug das rechtsextremistische Personenpotenzial 2022 knapp 39.000 Personen, also 0,047 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Durch die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall ist die Zahl zwar um knapp 5000 Personen gestiegen, doch liegt sie immer noch nur geringfügig über der der Linksextremisten.
Auch Umfragen widerlegen, dass antidemokratische Positionen in Deutschland auf dem Vormarsch sind. Bei einer Untersuchung der Körber-Stiftung erklärten unlängst 96 Prozent der Befragten, dass ihnen freie und geheime Wahlen wichtig oder sehr wichtig seien. 94 Prozent wollten, dass Parlament und Gerichte die Regierung kontrollieren, und 98 Prozent war es ein Anliegen, „dass die Bürger in Freiheit leben können.“ Einer im April vorgelegten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland sogar leicht gestiegen.
Umstrittene Mitte-Studien
Die Ursache für diese unterschiedliche Wahrnehmung ist ebenso simpel wie problematisch: Die Autoren der neuen Studie wollen beweisen, dass der Rechtsextremismus nicht nur aus Extremisten besteht, sondern von der Mitte der Gesellschaft gestützt wird. „Egal wie klein der Teil der Mitte sein mag, der ein rechtsextremes Weltbild teilt und sich sonst politisch zurückhält: Er ist nicht weniger gefährlich, wenn er vielleicht nur zuschaut und nickt, wenn der organisierte Rechtsextremismus handelt,“ heißt es in der Studie. In regelmäßigen Abständen schrecken sie deshalb die Öffentlichkeit mit der Behauptung auf, zahlreiche Demokraten seien in Wahrheit Rechtsextremisten.
Schon früh stießen die sogenannten Mitte-Studien deshalb auf Kritik. Extremismusforscher bemängelten vor allem ihre Methodik. So kritisierte der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder bereits 2007, dass das Ergebnis gleichsam vorprogrammiert sei, da viele Fragen missverständlich oder zu pauschal formuliert seien. Mit fragwürdigen Tricks gelinge es den Verfassern, „das rechtsextreme Potenzial künstlich zu erhöhen, was ihnen wiederum die gewünschte mediale und politische Aufmerksamkeit sichert.“
An der Methodik hat sich bis heute nichts geändert. Viele Fragen wirken wie Fallen, die die Befragten zu problematischen Antworten verleiten sollen. In der Praxis werden ihnen am Telefon 18 Aussagen vorgelesen, die sie auf einer fünfstufigen Skala befürworten oder ablehnen sollen. Erst bei der Auswertung werden die Fragen mit einer politisch zugespitzten Überschrift versehen. Wenn eine Verkäuferin oder ein Handwerker die informellen Sprachcodes nicht beachtet, werden sie kurzerhand als rechtsextrem eingestuft. Selbst 7,9 Prozent der SPD-Wähler weisen mit dieser Methode ein „manifest rechtsextremes Weltbild“ auf.
Rechtsextrem ist man zum Beispiel, wenn man die Aussage bejaht: „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.“ Politisch Interessierte werden wahrscheinlich hellhörig, wenn sie die Kombination aus „Diktatur“ und „nationales Interesse“ hören. Weniger gut Informierten dürfte dies kaum auffallen.
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Als die Umfrage im Januar und Februar stattfand, hatten viele Befragte vermutlich eher die Corona-Pandemie in Erinnerung, als es „im nationalen Interesse“ massive Freiheitsbeschränkungen gab. Selbst die linksliberale „Süddeutsche Zeitung“ hatte damals gefordert: „Mehr Diktatur wagen“. Andere mögen an den Ukraine-Krieg gedacht haben und daran, was wohl geschieht, wenn russische Truppen Deutschland oder ein anderes NATO-Land angriffen. Für diesen Fall sieht das Grundgesetz nämlich weitreichende Einschränkungen der Demokratie vor.
Mancher mag am Telefon auch an die Folgen der Erderwärmung gedacht haben. Klimaaktivisten fordern seit Längerem drastische politische Änderungen, weil „die Klima- und Umweltkrise mit dem heutigen System nicht gelöst werden kann,“ wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer 2020 in einem offenen Brief schrieben. Wissenschaftler wie der britische Ökologe James Lovelock oder der oppositionelle DDR-Philosoph Wolfgang Harich erklärten schon vor Jahren, dass eine Ökodiktatur unumgänglich sei. Mit Rechtsextremismus hat dies alles nichts zu tun.
Manipulative Fragen
Ähnlich missverständlich, wenn nicht manipulativ sind auch viele andere Fragen. Wer meint, „wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“, beweist damit nach Meinung der Autoren seine rechtsextreme Haltung. Wer findet, „das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“, kommt ebenfalls in diese Schublade. Nach diesem Maßstab wären die meisten Völker und ihre Regierungen rechtsextrem.
Nicht weniger problematisch sind die Fragen zum Thema Fremdenfeindlichkeit. Wer der Aussage zustimmt „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“, denkt nach Auffassung der Wissenschaftler ebenfalls rechtsextrem. Nach diesem Kriterium wären auch die letzten beiden Merkel-Regierungen rechtsextrem gewesen. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD nämlich vereinbart, dass man „der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger entgegenwirken“ und „Anreize für Migration in soziale Sicherungssysteme“ verringern wolle.
Mit ihrer hier nur kurz skizzierten Methodik kommen die Wissenschaftler zu teils grotesken Ergebnissen. So sind der Studie zufolge mehr Menschen, die sich als links verstehen, Befürworter einer rechtsgerichteten Diktatur, als solche, die sich für rechts halten. Auch 15,9 Prozent der FDP-Wähler haben ein „manifest rechtsextremes Weltbild“. Dasselbe gilt für 12,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder. Linke-Wähler fallen angeblich „durch vermehrte Zustimmung bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus“ auf.
Die Autoren weisen zwar daraufhin, dass eine einzelne Antwort noch nicht als rechtsextrem gewertet würde. Doch da die Zustimmungswerte zusammengerechnet werden, ziehen die harmlos klingenden Fragen die Gesamtwertung nach oben. Ein „manifest rechtsextremes Weltbild“ bekommt bereits bescheinigt, wer fünf Aussagen zustimmt und sich bei den übrigen 13 nicht festlegen will. Auf diese Weise kommt die Studie zu dem Schluss, dass 8,3 Prozent der Deutschen rechtsextrem denken.
Schaut man sich die Umfrageergebnisse im Detail an, stellt man freilich fest, dass die Zustimmung zu tatsächlich rechtsextremistischen Aussagen eher gering ist – und statistisch auch kaum zugenommen hat. So erhöhte sich die Zahl derer, die der festen Überzeugung sind, „Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks“ seit 2021 von 2,0 auf 2,6 Prozent. Der Anteil derjenigen, die meinen, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten „in der Geschichtsschreibung weit übertrieben“ worden seien, stieg von 2,1 auf 2,5 Prozent. Diese Zahlen sind umso bemerkenswerter, als auch Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft befragt wurden.
Über die Motive für den Alarmismus der Autoren kann man nur spekulieren. Feststeht, dass sie nicht ohne Eigeninteresse arbeiten. Hauptautor Andreas Zick war Stiftungsratsvorsitzender der Amadeu Antonio Stiftung, seine Koautorin Beate Küpper ist dort derzeit stellvertretende Vorsitzende. Die von einer ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin gegründete Stiftung lebt in erster Linie von staatlichen Zuschüssen. Auch ihre eigenen Untersuchungen würden kaum mehr gefördert, wenn sie feststellten, Rechtsextremismus spiele in Deutschland nur eine geringe Rolle.
Mit ihren aufgebauschten Diagnosen leisten sie der Sache allerdings einen Bärendienst. Wenn Wirklichkeit und Analyse so offensichtlich auseinanderklaffen, wird Wissenschaft unglaubwürdig. Sie beraubt sich damit selbst der Möglichkeit, politische Prozesse durch objektive Einschätzungen rationaler zu gestalten. Zudem werden die Unterschiede zwischen Rechtsextremisten und Demokraten verwischt. Die Folge ist nicht nur, dass das eigentliche Problem aus den Augen gerät. Es setzt auch ein gefährlicher Abstumpfungsprozess ein. Wer regelmäßig unbegründet Alarm schlägt, Deutschland werde immer rechtsextremer, muss sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung dies irgendwann nur noch achselzuckend hinnimmt.
Bildnachweis
(1) SPD Schleswig-Holstein / CC BY 2.0
(2) Marek Peters / www.marek-peters.com
(3) Metropolico.org / CC BY-SA 2.
(4) United States Holocaust Memorial Museum