Zwischen Ostalgie und Größenwahn

Nach 32 Jahren wieder abgerissen - der so genannte Palast der Republik in Ost-Berlin im Jahr 1977 (1)

Die Bundesregierung will in Halle ein gigantisches Kulturzentrum errichten. Was dessen Aufgaben sein sollen, ist unklar. Das Vorhaben ist aus mehreren Gründen fragwürdig.

Von Hubertus Knabe

vgwort

„Palazzo Prozzi“ nannten DDR-Bürger die mit einer goldbedampften Glasfassade versehene Betonburg in der Berliner Innenstadt. Mit Veranstaltungsräumen, Bars, Restaurants und einem eigenem Theater sollte der „Palast der Republik“, wie das Bauwerk offiziell hieß, Glamour in den tristen Sozialismus bringen. 32 Jahre nach seiner Eröffnung wurde er wieder abgerissen.

Ein ähnliches Schicksal könnte eines Tages einem anderen Kulturpalast drohen, dessen Errichtung die Bundesregierung gerade vorantreibt. Für 200 bis 220 Millionen Euro will sie im Osten Deutschland ein „Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ bauen. In fünf Jahren soll die Einrichtung, für deren Ansiedlung die Stadt Halle kürzlich den Zuschlag bekommen hat, eröffnet werden. Doch das Vorhaben, von dem bislang nur wenige Notiz genommen haben, ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: ordnungspolitisch, finanziell und inhaltlich.

Die Idee stammt vom ehemaligen Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD). Auf Betreiben von Angela Merkel wurde dieser 2019 zum Vorsitzenden einer Kommission “30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit” berufen. Die Übernahme des Amtes soll er an die Bedingung geknüpft haben, eine Institution zu schaffen, die die Leiden der Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung thematisiert.

Auf Betreiben Angela Merkels berufen – Der frühere Brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck 2007 (2)

Bei Merkel stieß Platzeck auf offenen Ohren. Die hatte schon 2018 gefordert, mehr Verständnis für den Unmut der Ostdeutschen zu zeigen, für die die Einheit zu harten Umbrüchen geführt habe. Er selbst hatte die westdeutsche „Anschlusshaltung“ für „viele gesellschaftliche Verwerfungen“ im Osten verantwortlich gemacht. Den Ostdeutschen wäre das Gefühl vermittelt worden, sie müssten alles wegwerfen: „Es war alles Stasi und alles ideologieverseucht“.

Gigantische Kosten

Die Platzeck-Kommission, in der die SED-Opferverbände nicht vertreten waren, kam zu ähnlichen Schlüssen. Auch sie übte heftige Kritik am Vereinigungsprozess. In ihrem Abschlussbericht ist von „Defiziten und Fehlentwicklungen“, „Aussichts- und Hoffnungslosigkeit“, von politischer und gesellschaftlicher „Verdrossenheit“ die Rede. Die Empfehlungen mündeten in den paradox anmutenden Vorschlag, ein „Zukunftszentrum“ als Ort der „praxisorientierten Auseinandersetzung mit Geschichte“ zu errichten.

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Welche Aufgaben dieses Zentrum genau haben soll, liegt bis heute im Dunkeln. Das Konzept, das eine achtköpfige Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Platzeck und dem damaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, im Juni 2021 vorlegte, liest sich eher wie eine Werbebroschüre als wie eine haushaltsbegründende Unterlage. Die Autoren wollen einen „bislang einzigartigen Knotenpunkt von exzellenter gesellschaftsrelevanter Forschung, Dialog- und Begegnungsformaten“ schaffen; eine Institution, „die agil denkt und arbeitet, inspiriert und Grenzen überwindet“; einen „Kristallisationspunkt für nationale und internationale Forscherinnen und Forscher, Besucherinnen und Besucher“. Dazu wollen sie ein Gebäude errichten, „das bereits in architektonischer Hinsicht besonders anziehend ist und auch auf diese Weise für die Lebensleistungen der Menschen in Transformationsprozessen Aufmerksamkeit erzeugt“.

Konzept wie eine Werbebroschüre – Der ehemalige Ost-Beauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz (3)

Hinter den Floskeln verbirgt sich ein Vorhaben, das ordnungspolitisch höchst problematisch ist: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik will der Bund in einem politisch umstrittenen Themenfeld eine Institution schaffen, die gleichzeitig Forschungsinstitut, Kulturzentrum, Museum, Konferenzveranstalter, Bildungsanstalt und Begegnungsort ist und obendrein auch noch Preise und Stipendien vergibt. Diese Aufgabenkonzentration in einer einzigen Bundeseinrichtung widerspricht nicht nur der im Grundgesetz verankerten Kulturhoheit der Länder, sondern auch den Prinzipien einer pluralistischen Gesellschaft.

Das Ganze ist zudem mit gigantischen Kosten verbunden. Zum Baupreis, der sich noch erheblich erhöhen dürfte, sollen jährliche Betriebskosten von 42,8 Millionen Euro kommen (Stand 2021). Die Zahl der Vollzeitstellen soll „mindestens“ 180 betragen. Rechnet man alle Ausgaben zusammen, dürften sie spätestens in 15 Jahren die Milliardengrenze überschritten haben. Angesichts der Haushaltsbelastungen des Bundes durch Zinszahlungen, Bundeswehraufrüstung, Ukraine-Krieg, Rentenlücke etc. ist ein solcher Größenwahn kaum zu rechtfertigen.

Alte Ost-West-Ressentiments

Hinzukommt, dass das Vorhaben inhaltlich nicht überzeugt. Die Probleme in Ostdeutschland zu Beginn der 1990er-Jahre betreffen eine vergleichsweise kurze Periode, die als Fundament für eine auf Dauer angelegte Institution nicht tragfähig ist. Anders als das Konzept behauptet, sind die 30 Jahre zurückliegenden Erfahrungen beim Übergang zur Demokratie zudem für die Bewältigung künftiger Herausforderungen kaum von Bedeutung.

Für für künftige Herausforderungen kaum von Bedeutung – Bauern-Demonstration in Neubrandenburg 1990 (4)

Ursache der Probleme waren damals auch nicht die Westdeutschen, sondern vier Jahrzehnte Planwirtschaft und sozialistische Diktatur. Dies zu unterschlagen, ist eine Form der Ostalgie, wie sie sonst vor allem die Linkspartei betreibt. Statt „den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken“, wie es über die Ziele des Zentrums heißt, werden alte Ost-West-Ressentiments wiederbelebt.

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Von einem paternalistischen Staatsverständnis zeugt schließlich die Absicht, durch die neue Einrichtung die „Lebensleistungen“ der Ostdeutschen würdigen zu wollen. Unklar bleibt nicht nur, welche Leistungen gemeint sind und wie diese Würdigung funktionieren soll. Auch Täter, Opfer, Mitläufer und Nachgeborene werden undifferenziert in einen Topf geworfen. Die Bewohner der östlichen Bundesländer werden kollektiv zu Kindern degradiert, die von ihren Eltern zu wenig gelobt wurden.

Dass das Zentrum den gegenwärtigen Unmut in Ostdeutschland besänftigt, ist nicht zu erwarten. Eher dürfte das Gegenteil eintreten, weil das geplante Bauwerk mit seinen urban geprägten Mitarbeitern in der ostdeutschen Provinz wie ein Fremdkörper wirken muss. Mit dem neuen Kulturpalast bestätigt die Bundesregierung den Eindruck vieler Ostdeutscher, dass der Berliner Politikbetrieb abgehoben und realitätsfern agiert und sie mit ihren tatsächlichen Problemen alleine lässt. Hier und nicht in den Transformationserfahrungen vor 30 Jahren liegen die Ursachen ostdeutscher Unzufriedenheit.

Der Text erschien zuerst in: Welt am Sonntag vom 26. Februar 2023 und Weltonline vom 2. März 2023.

Bildnachweis
(1) Istvan [3] / CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons
(2) © Ralf Roletschek / GFDL 1.2
(3) Gerd Seidel
(4) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0120-014 / Bartocha, Benno / CC-BY-SA 3.0

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